hase
schau mich an, hase, werde ich gesagt ha-
ben, schau mich an, wenn ich mit dir rede. und
er wird geblinzelt haben, zögerlich, denn alte
hasenaugen, selbst solche aus porzellan, nei-
gen dazu empfindlich gegen das licht der mor-
gensonne zu sein, auch wenn diese matt nur
durch die trüben oberlichter eines zirkuswa-
gens fällt: schmaler, heller strich, von leucht-
punkten durchtanzt, milchstrassen des
morgens
am fussende des bettes wird mit einem ohr
gezuckt mit dem würdevollen anheben einer
schwanzspitze gewunken worden sein, zeichen
beginnender unzufriedenheit, gleichwohl ver-
borgen aufmerksam: wer die katze stört, hat
böses im sinn. oder das frühstück bereitet
ich werde die linke der morschen flügeltüren
aufgestossen haben, begrüsst vom kater-
tier, dem grauen mit der verstümmelten pfo-
te, der sich die nacht auswärts streunend um
seine heldenohren schlug, begrüsst von der
betagten eiche, der seit jahrzehnten sterben-
den, gewiss, begrüsst vom mühlenteich, der
keine wellen an mein ufer warf, weil er zu
klein dafür gewesen, solchermassen begrüsst
werde ich die drei stiegen übersprungen ha-
ben, hinab, und schon am holzlosen türstock
dem eingang zum schuppen angelangt sein
es wird ein schneereicher winter gewesen
sein, damals. weil die winter vor jahren noch
die angewohnheit hatten, kälte und schnee zu
tragen als typische gewandung ihrer zeit, dann
und wann gewürzt mit einem stürmchen, das
den weissen griesel durch die ritzen trieb, so
wird auch an diesem morgen schnee gelegen
haben, ja, sicher, ein hauch, zumindest, ein
schneehauch wird das land bedeckt haben, um
diese stille zu machen, diese stille ...
wenige scheite holz werde ich zerkleinert
haben mit der leichten axt, unter der tief
durchhängenden decke, dabei bemüht ge-
wesen sein, nicht gegen die tragbalken zu
stossen, eine handvoll spane nur vielleicht
zwei, genug für das feuer der morgenstun-
den: während das erste knistern die rück-
kehr der wärme verspricht, wird die hexe
bald schon begonnen haben, höllenhitze aus-
zustossen, die dennoch nur die kälte in
ihrer nächsten nähe bricht. und während
der kessel längst über das feuerauge ge-
zogen ist, in die kuhle der herausgenommen-
en ofenringe gesetzt, werde ich bereits am
regenwasserbottich gestanden haben, mit
der axt das eis aufgeschlagen, mich zu
waschen, alldieweil von der eiche herab
ein kalter puder auf meine haut gerieselt
sein wird, gleich zärtlichem streich
ich werde deine post erwartet haben, eine
kerze angezündet, den umschlag belacht, be-
staunt, geküsst, auch diesen brief erneut
gelesen, erst alles auf einmal, dann satz um
satz, wort um wort, den kaffee getrunken, ge-
weint, gelacht, wie so oft, die immer wieder
jungen fragen beantwortet gefunden haben
und an mich gestellte, neue erfunden, gebo-
ren, für dich, an dich zurückzusenden, ja. die
fragen aber, die viel später kamen, so viel
später ... sie ist geflogen, diese zeit, ge-
flohen, fortgezogen irgendwann, mit den
nebelkrähen, im frühjahr gen nordosten fort;
nein, sicher bin ich nicht und nicht, wann
das geschehen war, geschehen konnte
dann, allerdings, würde ich mich gestützt
haben in meine hände, mein gesicht zu
schwer, um sich selbst zu tragen und mei-
nen namen würde ich geändert haben, damit
du mich finden können würdest oder suchen;
dann, allerdings
du, lass die glocken klingen, da du gehen musst
schau mich an, hase, werde ich gesagt ha-
ben, schau mich an, wenn ich mit dir re-
de. lange wird das her gewesen sein. ich wür-
de die augen geöffnet haben müssen, um zu
erwachen, anzuschauen, was gewesen ist, zu
beginnen mit dem anfang. aber bis es soweit
kam, dauerte es die zeit, die dafür notwendig
war, voll sonne und schmerz und abschied
und wiederfinden
foto: an der salzauer mühle (1996)
copyrights: cosima fuchs © (1996)