mauerfarben



    unscharf gehaltenes frauenportrait vor einem fenster, durch das eine alte ziegelmauer zu sehen ist. aufnahme: heidelberg, 30. januar 2005



    one through one, hindurchgeschaut, vorbei:
    mauerfarben. es sind nicht fragen, die mich
    quälen, es ist dies schweigen, das erinne-
    rungen tonlos macht. film ohne farben: wo
    gelebt und wann? 'warum' will niemand
    fragen; ich, für meinen teil weiss: un-
    romantisch war's, gewiss. coitus inter-
    ruptus, siebter treffer: ich

    one through one, vorbei geschaut, hindurch:
    bitteschön, was bleibt, wenn auf den punkt
    geschaut wird? ja. wir fragen lieber nicht;
    zu deprimierend ist das leben aller nach-
    barn, falls wir nicht weiter schaun, als
    nur auf den moment, da sie die ausgangstür
    des supermarkts passieren, elektrisch auf-
    und zugeschoben, hinauskomplimentierend
    ohne laut: die nächsten bitte! früher, ja
    früher schwangen türen auf und zu mit
    schellen oder glocken

    one through one, angeschaut, selten, zu
    selten, ja; sofern die fragen sich ver-
    schweigen, fällt uns das schauen leichter
    dran vorbei. es stellen sich die fragen
    nicht - die wir vergessen, wie den ersten
    blick, das erste zittern und den ersten
    herbst, den wir begrüssten, als verein-
    samende zeit - vorgegeben: wir müssen uns
    ertauben. der morgen wirft den vorwurfs-
    mantel über und besetzt das bad, der abend
    zieht zurück sich in empfindlichkeit; es
    ist ein vorurteil, dass nur die frauen
    litten, an unpässlichkeiten aller art, an
    sehnsucht, die in bitterkeit heranwächst
    zum skorpion, der sich den stachel selbst
    eintieft: ich werde alt und räche mich an
    dir, geliebte

    one through one, nun bin ich scheissenalt
    und traue langsam mich, auch morgens in
    die augen mir zu schaun; es hat doch seine
    zeit gebraucht, bis ich gelernt, bis ich
    verstanden habe, was trotz aller salti un-
    veränderbar, auch nicht durch flucht in
    wilde phantasien, durch namensgebung nicht
    durch hingerückte ohren nicht, nicht andre
    lebenslügen, nicht in vivo, jedenfalls: das
    eigne sein. die nase, die der vaters gleicht
    - verflucht, das alte stück! - verliert an
    wirkung, irgendwann; ich mag sie, weil sie
    nicht mehr wegzuwünschen ist. das klingt
    banal? es ist. ich mag den grauen nachbarn
    wie er durch türen schleppt, an seinen
    tüten hängt, die stöckelsohle an der
    strassenkante bricht - ich nehme seine
    alltagsabenteuer als die meinen und freue
    mich am altern deiner augen, die ich liebe
    mehr und mehr ein wenig, glaube ich, auch
    um des alterns wegen


    foto: heidelberg, 30. januar 2005