zwischen all den zetteln und notizen, dem ange-
stauten, angesammelten, dem kram und kruscht
der jahre liegt ein brief von dir, der reisst beim
auseinanderfalten, angeschmuddelt ist er, dass
teile kaum zu lesen sind; ich sollte besser nicht
ich räume auf und um, muss fortwerfen und hier-
lassen, muss mich entscheiden zum scheiden;
die morgenvögel vor dem fenster, die blöden tau-
ben, die vergebens auf dem klo zu brüten ver-
suchten, wieder und wieder (gestern hörte ich
ein nachbar habe begonnen, die eier zu sam-
meln und zu braten); es fällt mir schwer. heute
morgen, weisst du, hab ich oben am berg wasser
von einer quelle geschöpft und an dich gedacht;
es ist noch immer selbstverständlich, dass es in
mir drinnen nach dir fragt, manchmal mit einer
melodie, manchmal mit einem gedicht in sperri-
gen phrasen … beantwortet das deine fragen?
es ist zeit wegzuziehen, die schritte nachzuvoll-
ziehen mit bedacht, die so unbedacht gewesen
sind – wann hat man schon den mut, nach zehn
jahren noch einmal anzufangen? bedenken. be-
wahren. behutsam bleiben. achtsam sein … wie
wichtig mir die worte waren. wie wenig ich ver-
stand von dir und von mir
mensch, so viel leben haben wir gelebt, so viel
leben. und heute suche ich immer noch die reste
von erinnerung – das ist kaum vorstellbar, nicht?
du bist mir zu einem gefühl geworden, dem die
bilder fehlen, voll glück, mund und augen, voll
feuer, zunge, glut und schnee und eine welt von
schmerz
so schreib ich an dich in den raum hinaus, in dem
die persönlichen worte unfindbar geworden sind;
es muss gesagt sein, laut und ohne ausflucht: du
fehlst mir heute wie du damals fehltest, als ich
nicht lieben konnte, weil ich auf suche war nach
einer vergangenheit, blind gewesen bin, taub, ver-
loren und verzweifelt im suchen nach mir selbst;
du bist nie schuld gewesen. du warst der einzige
grund für mich zu überleben. beantwortet das dei-
ne fragen?
mensch, so viel leben war dort unter unserer
thymiansonne, unter unserem lavendelmond, so
viel dankbares leben