– javier segura varela (1) –
wenn eine stadt wie friedrichshafen, stolz auf un-
förmige luftschiffe – ‚zeppelin‘ genannt – kriegs-
wichtige industrien und ein touristenattraktives
hinterland, vergesslich, was ihre nazivergangenheit
betrifft, eine veranstaltung unter dem titel ‚kultur-
ufer‘ präsentiert, lohnt der besuch der dargebotene
‚kultur‘ gewiss nicht, ausser, die erwartungen be-
finden sich bereits auf niedrigstem level. und wer
diese stadt und ihre geschichte bereits kennt …
dagegen wird das wandeln entlang des ufers, das
der reste ansehnlicher architektur weitgehend be-
reinigt ist, mit wundervollen nächtlichen ausblicken
auf das gegenüberliegende schweizer ufer belohnt
das in der nacht zum zweiten august von zahlrei-
chen feuerwerken farbig illuminiert wird
lohnend könnte ein besuch friedrichshafens zur
zeit des ‚kulturufers‘ auch dann werden, sofern
es gelingt, einige der wenigen tatsächlichen kul-
turträgerInnen und förderInnen kultivierten ge-
sellschaftslebens zu treffen, die durch das fal-
sche versprechen alljährlich herbei gelockt wer-
den. diese wenigen lassen den kontakt zur nor-
malbevölkerung ertragen, der offenheit, freund-
lichkeit, respektvollen umgang, toleranz gegen-
über unbekanntem, einfühlungsvermögen, musi-
sches empfinden, progressive aufgeschlossen-
heit, guten geschmack, eine kultur des geistes
und der herzen und des vielen mehr, das eine
hochzivilisierte gesellschaft im positiven schmückt
gänzlich unbekannt zu sein scheint
– javier segura varela (2) –
heute riefen mir jugendliche hakenkreuzfressen
„linke zecke“, „heil sieg“ und „adolf hätte sowas
wie dich vergast“ hinterher. ihr irrt, wenn ihr
vermutet, dass die zahlreich anwesende nor-
malbevölkerung stellung bezogen hätte
fotos: javier segura varela
friedrichshafen, 08. august 2005