[ heimat ]

nie waren die fragen so klar wie an diesem
morgen; ein erster nebel hob sich von den
zerstörten feldern auf
 

nie waren die flüsse breiter als im land un-
seres vergessens; hinter den grenzen, dort
die roten wolken sind blutender rauch
 

wo bist du? rede, damit ich dich sehe;
höre, dass ich mich finden kann bei mir

 

nirgends waren die felsen so steil wie in den
städten unserer einsamkeit; das erste licht
fällt in eine kalte wiege, auf kuscheltiere mit
lebendigen mündern, die erzählen einem
fremden nichts
 

wo bist du? halte mich, halte mich
 

nie waren die fragen dringlicher angesichts
vergessener fluten, angesichts ausgewein-
ter fensterhöhlen in den strassenschluchten
unserer heimat, irgendwo in den kellern un-
serer verschwiegenen kindheit, irgendwo
am ende unserer gottverdammten scham
 

wo ist sie? wo ist sie?
 

gib mir meinen seelenmantel zurück, leben
gib mir das mondlicht mit einem fingerschnip-
pen wieder, gib mir die ruhe einer kalten
nacht, einatmen, ausatmen, ein trinken an
deiner mutterbrust, geliebte, drei schritte
an deiner hand durch den wald, mein blin-
der vater, und dann, endlich, ein erwachen
 

wo bist du? liebe mich, liebe mich, du, liebe
mich makellos, unserer heimat fern oder nah
allen fehler zum trotz; verlasse und verzeih

 

friedrichshafen, 02. oktober 2009


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