[ hirntod ]

August 10th, 2004

– oder – [ wenn der kopf schon hinüber ist, der körper sich noch wehrt ]

ist „schreibtod“ ein angemessener begriff für jenen zustand der schreibblockade, der eintritt, wenn der wortgebärungszwang zu gross geworden ist? als wort für eine universale dimension des empfindens: dieses übermächtige schweigen. existentielle angst vor bleibender unfruchtbarkeit der sinne. die jedoch in aller regel endlich ist und nicht, wie im todesfalle, endgültig. auch wenn immer noch wunder- und abergläubige – jeglicher evolution der rationalen vernunft zum trotz – bis heute behaupten, dass der tod gerade dies nicht sei. allerdings ist der einzig gültige beweis stets und nur persönlich anzutreten. am ende, eben

der begriff „montagsdemonstrationen“ kann schreibblockaden durchaus lockern. erschüttern geradezu die reaktionen der aktuellen regierungsvertreter, von denen äusserungen vernehmbar werden, denen vor allem ihre persönliche betroffenheit zu entnehmen ist. doch: herzhaft böses lachen lockert ungemein

aber was ist passiert?

die staatstragenden parteien fast aller couleur mühten sich redlich, ein programm zum abbau letzter verbliebener reste von sozialstaatlichkeit zu entwickeln, damit es den armen endlich richtig scheisse gehe und den reichen – nicht. nun sind sie überrascht, die um das wohl des staates bemühten – ja, geradezu empört – über reaktionen aus betroffenen teilen der bevölkerung: die gehen nämlich auf die strasse. und bezeichen diese aufzüge gemeinerweise als „montagsdemonstrationen“ … was für eine respektlose frechheit. jaaaaa – früher, als montagsdemonstrationen noch gerechtfertigt waren, – damals und „drüben“ – ging es schliesslich gegen das regime, ging es um die freiheit …

wäre es bei diesem einen aufschrei geblieben, wäre das lethargische hirn nach kurzem blinzeln, gähnen und strecken wieder hinweggedämmert. doch es folgte weitere unruhe: axel–springer–verlag und spiegel–verlag treten gemeinsam gegen die neue deutsche rechtschreibung an. sie verkünden, zur «alten schreibweise» zurückzukehren. was der geschäftsführer der rechtschreibkommission, klaus heller, «unmoralisch» findet. der vorsitzende der „zwischenstaatlichen kommission für deutsche rechtschreibung“, gerhard augst, warnt gar vor einer rücknahme der neuerungen. er hält es für «unverantwortlich», die rechtschreibreform noch zu kippen. im „deutschlandfunk“ sagte er, er habe angesichts der diskussion den eindruck, dass es vielen nicht um die rechtschreibregeln gehe, sondern um einen allgemeinen reformunwillen. die meisten menschen wüssten gar nicht, was sich durch die reform ändere

aaah – ja. so haben wir ganz fix den weg zurück zu den „montagsdemonstrationen“ gefunden. denn das behaupten jene, die stets bemüht sind, ihren staat im schönsten glanz poliert erscheinen zu lassen, die „obersten staatswichser“ also, auch: das gemeine „volk“ ist zu blöde. und zu frech

ich war und bin ein gegner der aktuellen rechtschreibreform. einer meiner vielfältigen gründe ist der verlust von ursprungs- und entwicklungsbezügen vieler worte oder redewendungen: ein erneuter, ein unverzeihlicher verlust von geschichte, von sprachlicher und kultureller identität

der schulterschluss von „bildzeitung“ und „spiegel“ bedeutet keine hinwendung zu progressiver sprachlicher avantgarde. ganz im gegenteil: in krisenzeiten erblüht die reaktion allerorten – auch auf diesem feld. «aus verantwortung für die nachfolgenden generationen empfehlen wir auch anderen die beendigung der staatlich verordneten legasthenie und die rückkehr zur klassischen deutschen rechtschreibung», so der vorstandsvorsitzende der axel springer ag, mathias döpfner und der chefredakteur des nachrichtenmagazins „der spiegel“, stefan aust

hirntod: wenn der kopf schon hinüber ist, der körper aber das nicht merkt


[ blog-in ]

August 9th, 2004

dieses „tagebuch“ ist eine verbeugung vor jenen
freundInnen unserer musik, die lange schon ein
mehr an geschichten fordern. erzählungen, noti-
zen, kurze betrachtungen, die den prozess ver-
ständlich machen – vielleicht verständlich machen –
warum, wie und wann meine chansons entstehen

versuchen kann ich es, versprechen aber nichts
 

 


dies tagebuch ist eine reminiszenz an meine
(total bekloppte) zeit als jugendlicher, als fan
bestimmter musikstile, bands und personen

nur was die menschen selber – von sich selbst –
erzählen, kann authentisch sein. muss es aber
nicht. auch bei mir – das ist hiermit versproch-
en und garantiert! – ist der grösste teil meines
hier erzählten lebens erstunken und erlogen


ja klar, so funktioniert unser leben doch: wir
lügen uns die wirklichkeit zurecht. wir lügen
uns klug und schön. cyber-schön


wer das lesen will: selbst schuld. ich, jeden-
falls, habe euch wortreich gewarnt

… also dann – es beginnt …
 

 

die peryton real-unplugged tour

zwei konzerte am vergangenen wochenende:
daniel hatte extra für diese tour einen banjo-
bass konstruiert, ich extra eine neue akustik-
gitarre gekauft. (übrigens eine ganz hübsche
`musima mf6´.) die sorge, dass meine seit
monaten angegriffene stimme nicht durchhal-
ten könnte, wurde dadurch leider nicht kleiner

eines der konzerte lief hier, von berlins kunst-
und musikszene gänzlich unbemerkt. ausser
den fünf persönlich geladenen freundInnen
kam kein mensch. der lockruf der biergärten
war an diesem ersten warmen freitagabend
seit wochen erfolgreicher als der unbekann-
te charme unserer unbekannten chansons

dennoch konnte ich viel lernen. wie schwer es
ist, zum beispiel, in einen leeren raum hinein
zu singen. oder zu sprechen. wenn das ge-
räusch des eigenen atems den anklang des
peinlichen bekommt. wenn das publikum fest-
gefroren scheint. wenn die zwischentexte ein-
samer monolog bleiben

aber auch, dass die „freilandhühner“ (eine der
beiden – ulrike – war als gast anwesend) auf
ihrem klangbeitrag zu unsrer cd im hinter-
grund gesungen haben. nein, sogar geschrien

„alle miteinander, alle salamander, alle durch-
einander, töten“. was für ein text. und wir, wir
haben das noch nicht einmal herausgehört …
 

das zweite konzert fand hier statt: daniel und
ich bauten kurz vor dem konzert eigenhän-
dig die provisorische bühne auf und wurden
dafür mit überraschend guter akustik und
einem grandiosen publikum belohnt. wir be-
lohnten das publikum wiederum mit einem
gut gelaunten drei-stunden-konzert bei ker-
zenschein und vollmond

in der pause fragte mich eine zuhörerin: „was
ist `glück´ für dich?“. das nehme ich als gross-
es kompliment; sie hat wohl sehr gut zugehört
 

sie hielt übrigens durch, die stimme
 

… ach ja: sobald mich fotos erreichen, schie-
be ich sie nach. versprochen