[ welten und brände ]

April 21st, 2005

in der nacht weckt mich das fieber
mit hitze und frost; in mir brennt
die flucht vor dir weiter, flammt
mich aus, durchlodert meinen
eukalyptuswald, bewahrend im
verderben; morgen werde ich
die aufgesprungenen früchte
zusammentragen, eine neue
welt für sie erfinden, zärtlich
sie lieben wie jedes unserer
ungeborenen
kinder


[ kreuzwege ]

April 20th, 2005

deutschland hat einen neuen führer. auf italienisch fragt
er von der empore herab „wollt ihr den heiligen krieg?“. sie
jubelt, die masse unter ihm. nein, er hat nicht gefragt

bevor das radio abzuschalten ist, bin ich schmerzhaft
besudelt von kirchenkotze und benediktinischem fluch

die sonne steht gelb im westen über markranstädt, als
ich zur autobahn abbiege, aus jener stadt fliehend, in
der mein herz das schlagen vergisst: nach einer stunde
sprang die katze aus den verwundenen schatten, durch-
schrie meine gedankenstille, sie legte ihre hände auf
meine schultern, dass ich den kopf von den knien riss:

niemand. brachte mein herz zum stehen

der wind bliess eine fontäne schräg über den teich, die
sonne wärmte nicht. kleine kinder, haarige hunde und
der geruch von verbranntem fleisch auf holzkohlefeuern
zogen über das kurzgetretene rasengrün

wenn meine sehnsucht einen namen trägt, so ist es

deiner


[ carpe diem (4) ]

April 17th, 2005


 


 

– tresenschach –
 

fotos: ‚carpe diem‘, tangermünde, 26. märz 2005


[ carpe diem (3) ]

April 17th, 2005

– eastern star –
 

foto: sven ‚grässi‘ grasmann im ‚carpe diem‘
tangermünde, 26. märz 2005


[ echt ]

April 17th, 2005

wenn es warm und sandig durch die zehen drückt
kühles grün zwischen morschen stengeln, das auge
zeichnet nach, das ohr saugt ein, was wiederklingt
so lieg ich mittendrin, eine nase fragt schüchtern
blasend nach meinem befinden: so ist es echt

berteroa incana, spricht es und senecio viscosus
bis ich der stimme in mir den mund verbiete: das
war vorgestern. wechselkröte … still. es ist; das ist
genug. ein tag nur für mich, unerreichbar ganz am
rand, weiss ich, dass übermorgen schon der lärm
um mich unerträglich ist

sorg dich nicht, weiche nase, ich liege nur. sterben
ist woanders, nicht heut

eine wolke schiebt sich über den himmel und
schaltet die wärme ab, für einen augenblick


[ carpe diem (2) ]

April 16th, 2005

– ablenkung –
 

heute dagegen: nichts los. aber wenigstens
ist die musik gut, sagt grässi
 

foto: ‚carpe diem‘, tangermünde, 26. märz 2005


[ carpe diem (1) ]

April 12th, 2005

– nachttresen –
 

sven ‚grässi‘ grasmann ungewohnt still hinterm
tresen, hinterm glas versteckt, links hängt ein gast
in grün, rechts will ein gast berauscht und glücklich
den andern füttern mit bier, zum zeichen grosser
freundschaft. oder so. vielleicht dies noch: es war
schon spät, an jenem abend
 

foto: ‚carpe diem‘, tangermünde, 26. märz 2005


[ internetcafé ]

April 12th, 2005

‚wenn wir uns nicht verabreden, sehen wir uns eher‘
– genau. so ist es viel freier, spontan, ohne bürokratie
und nerv und kram. eine schöne nacht war’s. eng
aber schön. eng und schön. und dann hab ich
geträumt, wir hätten musik gemacht, zusammen
mit thomas vallentin ‚in jedem stück‘ aufgenommen

von ‚deinem‘ hund hab ich geträumt (eh klar, gell:
ein lebewesen ist kein besitz; glück und fluch der
freiheit), der traurig war, weil ohne dich, der mit-
kommen wollte mit mir, deshalb. na, stell dir das
mal vor: mit mir. wo ich doch immer alleine reise

aber du, freund, du bist doch zuhause. also kümmere
dich, bitte, um das herzschwere vieh

du kriegst bald einen brief, du bald ein neues foto
und
du sei nicht so ungeduldig: ich bin doch schon
fast unterwegs zu euch


[ … und grüsse zurück ]

April 11th, 2005

bin in … angekommen, freue mich auf einen tag
pause. morgen. sagte ich, ich wäre müde, würde
ich lügen: umfallen könnt ich

j., es ist schon ok, mit den fischen; hier gibt es
keine (gut so)

h., angst bringt nix – ausser noch mehr angst;
wozu also?

t., du wirst mich halbtot finden, aber das ist
schon in ordnung so

an die magdeburger crew: danke für die wun-
derbaren proben am vergangenen wochenende

an die glückwunschsenderInnen: ich hasse ge-
burtstage, vor allem aber meinen eigenen. ihr
konntet das nicht wissen; lasst es bitte, beim
nächsten mal. dieses eine mal sei’s noch ge-
dankt … und verziehen


[ berlin, 29. märz 2005 ]

April 8th, 2005



 

in schatten stehen schatten
in spiegeln stehen spiegel
hinter

geraume zeit nötigt der blick von
ost gen horizont, gen himmel west hinter
her

oberhalb schweift stille über strassen
kein staub von abbruch, wiederkehr
still

aber du, du träumer, träumerin, du

von oberhalb stehn schatten über schatten
stehn himmel über himmel: lauf, wenn du
kannst
 

foto: berlin, 29. märz 2005


[ frühlingsflut ]

April 7th, 2005



 

hoch stehen die wasser
die flut leckt das land weg
bis an den himmel, lässt türme
schwimmen am fernen rand und
bäume wie kähne ziehen, stromab

hält fest unser damm?
hält stand die alte brücke?

wir fluten das hinterland nach belieben
und tränken wider willen: morgen werden
eure kühe schwimmen, die füsse in ketten
sklaven ohne stimme, festgelegt im stand

zurück weicht das wasser, atmen die
auf und die nicht: alles
wie vorher
 

foto: tangermünde, 27. märz 2005


[ mitgenommen ]

April 5th, 2005

(16:25)

tief steht die sonne unter türmen, eisig der wind. nichts
damit ‚dem frühling zuhören ohne zu frieren‘ – nicht
hier. erste fotos am lächerlichen hafen, weil ich’s ver-
sprochen hatte. später dann, weil die bilder entgegen
drängen: kino; jedenfalls beinahe. hier ist es so häss-
lich. diese stadt muss hässlich fotographiert sein, will
ich ehrlich bleiben. (will ich ehrlich bleiben?)

ein tag wie angeklebt. gedanken angeklebt. augen an-
geklebt. blick hängt zäh. hakt fest. fisch. fisch. fisch. das
wort steht quer im kopf, seit – – – fisch. fisch. wolken
fisch. wind schneidet sonne weg. fisch. fisch

treppe, brücke, teer, pflaster, fliesen, gehen mit den
füssen. platz, treppe, strassenkante, ampel. ampel rot

ampel rot: gehen. ampel grün, das sind die anderen, die
gehen. die in bleichen schlangen gehen. stehen in
schlangen. stehen neben bussen, neben ampeln, ne-
beneinander. stehen in rudeln. (hörst du? ‚in rudeln‘. da
hast du’s: die auch)

auf titelseiten tragen sie den papst vorbei, bleiches
teil, auf bahren. weinen und winken in rom, weisse rotz-
tücher flattern in unruhigen händen, streit in paris um
halb erhängte trauerfahnen, bei mir nur leichte übel-
keit: welch brimborium um eine bleiche leiche

ein tag wie angeklebt. rote ampel: drei jäger. die lach-
en im auto wie killer lachen, wenn sie erleichtert sind
und irgendeiner tot. bums. der lehnt sein fahrrad an
die scheibe des cafés – rumms! – er sieht mich nicht:
gut so, fischauge. zwei polizeiautos fegen blind vor-
bei, trottel, silber und grün. silber und grün. silber-
fisch. wolkentürme. kalt hier. scheisstag. komplett
streichen … nein: nicht ganz

(16:44)


[ morgenkater ]

April 5th, 2005

ich weiss nicht, wie den panther wecken
der im geäst hängt und zu schlafen scheint
ohne meine haut zu lassen. blinzelt er?

mach los, katze, gib mir
ein auge: den morgen oder das vergessen


[ nachgelegt: valparaiso ]

März 31st, 2005

– peryton beim übertragen des ‚valparaiso‚-manuskriptes –
 

foto: berlin, 30. märz 2005
copyrights: peryton & thomas vallentin©


[ valparaiso ]

März 30th, 2005

wo bist du, was machst du, was lähmt, was liegt, was
gilt, was hält, was quält sich und was treibt dich um?
die fragen wiegen schwerer, da du schweigst, seit ta-
gen schweigst und zeigst nicht, schweigst dich stumm

lass mich dir vom traum dieser nacht berichten, schweig-
same, als das kanonenboot zeigte auf unseren garten an
den hängen, hoch über dem meer, hoch über dem hafen
dieser stadt, wo die sonne ohne unterlass scheint für alle
und für die armen mehr, sie scheint also für uns, sie scheint
auf valparaiso, wo die menschen über treppen zueinander
steigen, die gepflastert sind mit den rücken farbiger mu-
scheln, lebendig singend unter den sohlen, wie orgeln aus
viktorianischer zeit, die in der hitze des sonntags durch die
schmalschattigen gassen obszöne choräle röhren, wie an-
getrunken – me caga la puta! angetrunken schon im
mittagslicht! – trotz des kanonenauges haben wir gelacht
uns zugelacht, zähnezeigend, helles züngeln zwischen
flaumigen lippen, glänzend wie von imperialer zahnpasta
gemacht, die hier verwendung findet, um das silber rein
zu halten vom teer der zeit, jener, die im hafen lauert
jener, die am tage ruht, die nachts die aufzüge herauf-
knarrt, unabweisbar wie der geruch des tangs, die durch
mauerfugen kriecht, wie der beissende rauch von wein-
stockstümpfen: trunken machendes leben, im sterben
gift für alle, die durchflossen – so lachten wir auf unserem
stück garten über dem meer, hoch über dem hafen von
valparaiso

ich wusste deinen namen nicht, vergessen war er, doch
so sicher war, dass dieses lachen dir gehörte, da ich dei-
nen geruch kenne, von zitronen und pfeffer, so gut kenne
ich ihn, aufgesogen in tausend nächten der liebe, an tau-
send tagen des schmerzes, aufgesogen, fortgeküsst im
schweiss auf deiner stirn, wenn träume dich rufen liessen
nach mir, dass dein ruf mir folgte, schneller als mein blut
mein herz erreichte, immer, auch an den entferntesten
polen und mich weckte; immer war ich im allernächsten
augenblick bei dir, ich küsste deine augen bis sie ruhiger
wanderten, küsste die nelken auf deiner brust, bis dein
atem zurückfloss wie das meer bei flut, dass du zurück-
kamst zu mir, jedes mal, müde und nackt lagst du, hin-
gespült vom traum, verwirbelt, verwirrt, verlassen, liegen-
gelassen, hingegeben, wie die welle den sand verlässt
bei ebbe nicht ohne ein geschenk – so hast du dagelegen
viele male; von daher kenne ich deinen geruch

und so lachten wir unser lachen von frischen kartoffeln
und tomaten über den hafen von valparaiso hinweg, an-
gesichtig eines kanonenbootes, das eine welt bedrohen
kann, aber nicht die unsere, nicht die geckos auf den
fenstersteinen, nicht unsere liebe im traum, nicht dein
lachen und nicht meines, und als ich dich in den schatten
ziehen wollte – puta madre! – angeschwollen von lust, wie
es am sonntag üblich ist, bist du entschwunden, entglitten
in fremde schatten, einen traum vielleicht, zerflossen wie
eine fatamorgana des nichts, wie zucker im kaffee: fort
und nicht fort – hast mich sitzengelassen, elegant und
verschwitzt wie ich war, ein echter macho, ein gaucho
heiss wie ein stier oder ehrlicher gesagt: wie eine schild-
kröte im angesicht ihres endes, zwischen zähnenbespick-
ten kiefern eines hungrigen katers, entschlossen zu über-
dauern, dort, zwischen öligen fässern, dort, zwischen
kisten und ballen, dort, zwischen stein und schuppen und
salz, dort, im hafen von valparaiso


für pablo, für julia, für katja und
für co, die liebe meiner träume –
der träume und der liebe wegen


[ reflektionen I bis III ]

März 28th, 2005

– I –
eine selbstbewusste antwort: ich
kann mich besser ertragen, in deiner nähe

– II –
gestern ohne unterlass getrunken gespielt gelacht
gesprochen geraucht gewesen gelebt

heute, dagegen, bin ich. etwas. zurück
gezogen

– III –
noch eine antwort: ich
kann dich besser ertragen, in meiner erinnerung


[ tattoo ]

März 27th, 2005


 

da sind jene, die fallen mit
dem wind im herbst, sagt sie
sie sind die blätter. und

da sind jene, die aufrecht
bleiben, immer
unbestimmbar bis ins ziel
sagt sie, das sind die sterne
unter den menschen

mein auge sucht nach worten
zwischen ihren lippen, sucht
was scheu im schatten spielt
aufglimmt und verglüht: ein
lächeln, die spur der sehnsucht
unendlicher suche nach licht
 

foto: tattoo. tangermünde, 26. märz 2005


[ am hafen spielten kinder ]

März 25th, 2005

am hafen spielten gestern kinder. sie kickten einen ball
gegen die wand des toten schuppens, sie starrten, als ich
barfuss näher kam, sie sprachen unverständlich, riefen sich

ich lief durch sie hindurch und lachte, als ihr taubes spiel-
zeug in der rinne eines vordachs, recht weit oben, hängen
blieb

sie sehen aus wie in schlechten filmen, also wie in echt
: dickliche hemden unter vollmondköpfen. sie starren, als
ich in ihrer nähe stehen bleibe, um mit meiner kamera den
abend einzufangen, der schöne augen macht, am rand des
hafenbeckens, gegenüber. sie starren, als ich kniee, um ein
objektiv zu wechseln, einen film – sie spielen nicht mehr

sie werfen steine ins wasser über die linie meines rückwegs
hinweg; ich gehe – dennoch – durch sie hindurch. die
steine der fünf folgen mir. als ich, stehengeblieben, mich
ihnen zu wende, schauen sie weg: die haben immer
angst, weil sie klein sind

am hafen spielen kinder mit dem ball
sie spielen manchmal auch mit steinen

am hafen spielen nazis zwischen den ruinen. ich schätzte
sie auf zwanzig jahre. unbeachtet fühlen sie sich wohl

stolz, könnt ihr sein, auf eure kinder. stolz könnt ihr
sein, dass sie gelehrig sind. morgen spielen sie mit
messern, so wie ihr, spielen mit panzern und
bomben. stolz, könnt ihr sein, wie gelehrig sie sind


[ an unsren ufern ]

März 24th, 2005


 

wellen treiben im fluss, wie
wellen treiben, vom kali
krustig, braun von versunkenen
ufern. in ihren schatten wohnen
zerborstene häuser. hier

fühle ich mich wohl
wie hingeworfen, achtlos
nachtschatten gleich den
wellen

frühe inventur im ersten
licht, denk doch: kein tag
ohne dich. denkschatten
schreckenschatten
mauerschatten. hier

fühle ich mich wohl
hingeworfen, angekommen
wartend, gleich der nacht, dem
ufer, der brücke auf einen schritt
hinüber, um komplett zu werden, eins

eins im klang oder
wie mein regen, der
an deine fenster schlägt
hilflos, aber stet

zerborstene häuser warten
an unseren ufern, wartend
wartend. ziegel entfallen müden
augenhöhlen und zerspringen; höre
: mit einem seufzen

ja. sie weinen
 

foto: magdeburg, 24. märz 2005


[ lass mich ]

März 22nd, 2005

sterben will ich, manchmal
in den nächten fliehn
so war es nie – und doch, so
war, so ist es noch: cosima

kalte sonne, scheine nicht für mich
scheine nicht und lass

sterben; bis dahin
dem morgen entgegen
weinend: lebende träume
vom abschied

am morgen, später, per telefon die nachricht, dass mein
universitätskollege dr. ernst-walter reiche gestorben ist. ich
war auf dem weg zu ihm. ein trauriger tag, atemnehmend