[ à la rivière ]

September 1st, 2005

beredte steine antworten unter nackten sohlen im
rhythmus meiner monologe. neben mir läufst du
biegst nicht die weidenzweige, nur der wind. daran
erkenne ich, dass du nicht hier bist
.
auch daran
 

er stoppt sein fahrrad, winkt über das hohe eisen-
geländer der brücke zu mir, auf den heissen stei-
nen. nur mit zugekniffenen augen kann ich seine
silouette erkennen, gegen die abendsonne, zwei-
fach blendend, über den fluss gespiegelt, ein
schwarzer arm aufgereckt, winkend, gegen den
kastaniengrünen berg. ein bild für mein buch der
erinnerungen, près de ma coeur
 

und ich werde zurückfahren ohne klarheit;
doch, dies: ich kann nicht vergessen
 

 

eine polizeikontrolle auf dem weg in die stadt. nun weiss
ich, dass fahren ‚au pieds nus‘ in frankreich strengstens
verboten, das fahren ohne eine spezielle versicherungs-
karte ebenso unmöglich ist, wie das anbringen eines auf-
klebers ’non aux militaires‘ der, wie ich lernte, einen gen-
darmen, der sich als soldat versteht, zutiefst beleidigt. und
der kofferanbau an einer roten ‚ente‘ führt eigentlich auf
direktem weg zur guillotine; eigentlich … aufgrund eines
unerwarteten momentes südfranzösischen überlebens-
glücks durfte ich, dennoch – vermutlich, weil ich den uni-
formierten total weltfremd erschien und sich zudem das
auto als nicht geklaut erwies – nach artigem aufsagen des
gelernten weiterfahren, ohne federn gelassen zu haben


[ dans les montagnes ]

August 30th, 2005


 

das ist eine

eine fragwürdige geschichte
die dem mondbach gleich
durch dein lachsleben zieht
: eine reise gegen den strom

mit jeder kaskade blättert
eine seite um, zurück; nichts
zu finden als die quelle allen
anfangs und sein

ende
 

foto: herault. roquedur, 29. august 2005


[ sauvage ]

August 29th, 2005


„das unfassbare: schon ein zweites schild
‚achtung peryton wechselt!‘ entdeckt. beim
ersten fast eine vollbremse vor überrasch-
ung. dann ein beweisphoto. glaubt sonst
kein aas: hier springen sie durchs leben“

 

… und dann: regen. die berge. ein

fluss

dass er angst hatte, sein erleben im herzen, als
ich das auto lustig durch die kurven federn liess
und über alle kuppen (es fühlt sich hier zuhause
wie ich selbst); ich ahnte nicht. ich bin ein tum-
ber tor, ein tauber täubling, manchmal. oft

dann fehlt das wort zur zeit: arrête. so aber fegten
wir kilometerweit bis an den rand der berge und
einen schritt zurück in der zeit, für einen moment
des träumens, erneut. es war mir bald ein wunder
dies teilen zu können mit

freunden

wir pflückten die feige vom baum, die dorre frucht
vom maulbeerbaum wie einen kinderschatz
(früher; früher war er süss). wir sprachen vom
gold, dem traum vom besseren überleben, aus
dem fluss gesiebt, das ehdem manche lockte, man-
che hielt und von den alten – wohl hundert jahre
ist es her, dass sie es liessen – die noch die brut
der raupen, sie zu hegen, zwischen brüsten bargen
… bis dieser plastikfaden ihre mühsal zu ruinen
brach. und wir, die fremden enkel, wir geniessen
ausgeflohne steppe als ein paradies; die zeit ist
grausam, sehen wir und wandelt

menschen. auch
 

foto: saint hippolyte du fort, 27. august 2005

[ je m’en vais. c’est quand …? ]

August 26th, 2005


 

le téléphone. nimm diese fähre nach london. dann

was dann? was dann? ich bettle. ich flehe. sie hat
aufgelegt. ich werde mein schiff verpassen, auch
in dieser nacht
 

ich hau ab. ohne den letzten besuch des alten vier-
tels. räudiger hund auf unsichtbarer fährte, tierische
marionette an fäden eines verwehenden geruchs. mir
reicht ein traum, die träume zu zerbrechen

je m’en va. ich fliehe den nachteulen hinterher
heule dem mond nach, hinter wolken von gestern
schreie als möwe vom hafen herauf durch die
graue morgenkühle, jammerndes lüftchen in den
telefondrähten, gespannt zwischen greisen fassa-
den, die sich, einander zuneigend, ihren strohputz
zu füssen legen
 

c’est quand qu’on va où?

so reise ich ab, mit nichts im gepäck als meine
schlaflose liebe, unser beider traum und den
schmerz, alt gewordene begleiter
 

foto: hart am rand
rue estella/cours julien, marseille, 24. august 2005

[ blues de cours julien ]

August 25th, 2005


 

eure füsse werden sicher die wege durch den tag
finden, wie von selbst, eure probleme werden die
anderer sein, das glück wird euch zur seite stehen
bis zum morgen, sofern ihr euch begleiten lasst wie
eben von meiner musik, sofern ihr das kleine geld
übrig habt, die klimpernden stücke, um den
schwarzen boden meines weitgereisten hutes dank-
bar zu bedecken, der mein gefährte ist, der meine
augen beschattet, der mich ernähren soll mit eurer
gabe der zufriedenheit

das, etwa, wird er gesagt haben, am ende seiner
poesie, die tischreihen durchwiegend, an einem jeden
eine hingenickte pause, die zersprungene gitarre
herumwirbelnd wie einen feuerstock, diamanten auf
seiner dunklen stirn, kraftvoll sein gesang, würzig
wie buchenrauch, am lagerfeuer, des abends in der
ferne unter kastanien, unter sternen, des abends
in der ferne

merci, jeune frère

foto: certaines personnes
rue pastoret, marseille, 24. august 2005


[ tour de force: marseille ]

August 23rd, 2005


 

die magistrale der provence binnen zweier tage; über
das ausgesprengte judenviertel treppauf in die alt-
stadt, über den arabischen markt durch ein hippie-
viertel hinab zum anarchistischen archiv ‚cira‘ (centre
international des recherches sur l’anarchisme)
; drei

caféstopps später fiel unsere métro aus, mit dem bus
zur see, über ausgeteerte pfade bis ans cap croisette:
kein garten eden für die blossen füsse

kalkweisse riffe schroffen ab zur brandung, sonnen-
kahle hänge übersät mit schotter, salzverkrustet wie
das unbewegte kraut, schicksalsstarr, geduldig, die
spuren unserer kultur von gestern und von heute, tote
betonaugenkuppen alten westwalls, darunter
flaschenscheibenpisten, angespien vom

meer: wir kriegen dich, auf unsrer seite steht
die zeit. diesmal
 

foto: révolution
rue crudère, marseille, 24. august 2005


[ marseille ]

August 22nd, 2005


 

in einem landebogen zwischen weissen klippen hinab
über die quais, hineingeflogen mit der autobahn zum
alten hafen

… schnitt …

hineingefädelt in touristenstaus, dann steil herauf
hinunter in die gassen und gelernt: das auto findet ruh
nur untertage und gegen hartes geld – doch dann

von der terrasse aus, vom dach, verliert
der blick im meer den horizont, davor
– da unten ! –
stemmt diese stadt sich gegen den mistral
 

beneidet mich: ich grüsse euch vom rand des kontinents
 

foto: cap croisette, marseille, 24. august 2005


[ bienvenue ]

August 22nd, 2005

der regenbogen trägt keine farben in der nacht – ich
fand an einem seiner wunderenden einen platz zum
schlafen: seitensträsschen ab, neben glascontainern
hingestürztem müll. nach pisse roch es, altöl, nasser
strasse: bienvenue. la france du sud lacht mir mit
morschen zähnen


[ abreise. endlich ]

August 20th, 2005

der peryton-weblog ist fast komplett umgezogen. das alte
gästebuch und die alten kommentare folgen später, nach
meinem ‚urlaub‘, der nun endlich beginnen kann. die links
und das layout … ihr habt noch ein wenig geduld? danke

und jetzt: ab nach marseille

„wir treffen uns am alten hafen“

ja. bald


aber natürlich werde ich mich von unterwegs
melden … mein lästermaul lässt sich nicht
lang im zaum halten


[ nu weisste alles ]

August 17th, 2005

– peryton on the road –
 

„moin georg! wo bist du zur zeit? hab ne ganz
superaffentittengeile cd gehört, ich glaub von
‚peryton‘ oder so. ob es von denen schon poster
in der neuen ‚bravo‘ gibt?“

(von l. 16.08.05 – 22:39)
 

„peryton-poster? klar: erscheinen als hoch-
glanzdingsvorlage im verlag mit den zwei
langen ohren, weisste? – sass bis eben am
rechner, weil mein weblog umziehen muss
und ich von meiner phantomhaften webma-
sterin zu fronarbeit verdonnert wurde. werde
gleich in steinwurfweite zum bodensee schla-
fen, morgen ein verjüngungsbad nehmen. brau-
chen. nu weisste alles bis auf … später …“

(an l. 17.08.05 – 04:40)
 

foto: friedrichshafen, 03. august 2005
copyrights: t. sommer ©


[ nase ]

August 16th, 2005

duuummm – tschick
d’dumm dumm – tschick
d’duuummm – tschick
duuummm

dicht unter der decke sichelt ein propeller
vergebens die luft. meine gegenüber haben
grosse kindernasen, aber sie rauchen wie
alte profis. reden laut mit kinderstimmen
reden eifrig. die grösste nase erinnert mich
an deine. damals

… duuummm – tschick …

wir reden miteinander
aneinander vorbei
wir sehen einander
aneinander vorbei

– comment ça va? –
– ça va bien! –

wir fragen einander
und fragen aneinander vorbei

… d’duuummm – tschick …

mein gegenüber hat deine nase. hält
ihr glas mit halb abgespreiztem
kleinen finger. eigentlich ist sie
sonst hübsch; aber sie trinkt
milchkaffee. ‚caffè macchiato‘

darüber kreist unerbittlich der propeller

ansonsten ist sie eigentlich hübsch

… d’dumm dumm – tschick …

draussen gehen zwei vorbei. gesichter
voller harm. falls sie welche hatten: arme
kinder. die frau an seiner seite trägt
glänzend schwarzen pelz. ich sehe nerze
in käfigen, bevor sie abgeholt werden
zum vergasen, schlampen ohne herz zu
wärmen, begleiterinnen gleichermassen
freudloser bestatter

mir wird schlecht

… d’duuummm

ich muss hier raus. sofort


[ il cappuccino ]

August 14th, 2005

dreimal entscheide ich aufzustehen, dreimal
drückt mich das geräusch des regens zurück
in meine decken

ein besuch im café soll mir die sonne bringen
augen öffnen, schärfen für die blassen farben
die faltenlinien, kinnkontouren, das aufblitzen
feuchter mundwinkel vor einem stummen
lächeln

ein eckenplatz, weich bepolstert bis auf
schulterhöhe, davor ein steinquadrat als
singletischchen: passt

passt nicht

kühler kaffee schwebt grusslos heran, cremesüss
riecht er, nach verlassenen lippen, schmeckt an-
fangs nach sägemehl, später nach metall, das
anwesende publikum rechtfertigt nicht den lärm
einer bahnhofshalle

die hornbrille der kellnerin, mir erinnerlich aus
vorjahren, blickt unzufrieden auf ihr klientel, un-
dankbare billigtouristen; aber was kann sie er-
warten: hier ist nicht die beste adresse. wer hier
geblieben ist … wer hierher kommt …

ciao. ich werde gehen, ohne meinen schierlings-
becher geleert zu haben, verärgert darüber, mich
echauffiert zu haben; immerhin, die augen weit
geöffnet

das zwielicht dieses schwäbischen sonntags
lässt fäden erkennen, herabreichend vom
theaterhimmel

heute sind sie dabei, heute ist es ihre show
heute sind sie erste wahl, erste reihe, ganz
vorne, mittendrin, publikum und bühne sind
sie, wir schreiben, sie spielen, sie sind, seien
sie sie selbst, spielen sie sich, wir sind dabei
wir wählen aus, wir wählen sie, sie machen
mit, wir zeigen sie

wir zeigen heute: ‚il cappuccino‘

vorhang

alles unverändert


[ die stasi zeigt den deutschen gruss ]

August 13th, 2005

– oder – [ zu rechter zeit am rechten ort ]
 

die geschichte ist bekannt: trottelfahndung südwest und am ende schmiergeld. sie suchte mich ein jahr lang vergebens und daher besuchte ich sie, die stasi – sozusagen ihr entgegenkommend – anfang juli 2005 in ihrem hauptquartier am rande der altstadt einer baden-württembergischen touristenmetropole

es war interessant zu beobachten, wie sie sich benehmen, wenn sie unter sich sind und sich sicher fühlen, ganz zuhause. den normalmenschen ‚draussen‘, die in der regel wenig konkrete (vor allem: wenig realistische) vorstellungen vom ‚drinnen‘, vom apparat selbst haben, seien die folgenden fotos zur belehrung und erbauung kommentierend vorgestellt

eine grössere zahl bewegungsarmer, hohlraumkonservierter präparate wurde im heidelberger polizeizoo dargeboten, deren erhaltungszustand aber, wie kritisch angemerkt werden muss, durchweg mitleiderregend war. einzig beruhigend dabei, dass eine dergestalt eingeschränkte einsatzfähigkeit die inneren reibungskräfte des apparats erhöhen muss und daher mit einer zumindest verzögerten umsetzung der kühnsten totalüberwachungsträume von bundesterroristInnenminister schily und konsorten gerechnet werden kann

das erste foto zeigt einen älteren polizistenroboter in energiesparendem ruhezustand, dem ich höchstselbst mittels handauflegens (siehe bild) einen spionagevirus applizierte, wodurch er mittelfristig zum ‚polizeischläfer‘ mutieren wird
 

– 1. peryton meets a nearly dead man –
 

einige der ‚dein-freund-und-helfer: guuut‘-animateure wurden (möglicherweise um auf die vorgeblich angespannte personallage aufmerksam zu machen) sogar ohne uniforme dienstkleidung an der gute-miene-front eingesetzt. einer von ihnen wird auf den beiden folgenden fotos eine zentrale rolle spielen

foto 2 dokumentiert den quantensprung, den die moderne technik dem polizeilichen alltag beschert hat: der einsatz technischer neuerungen wie des polizeiautomaten t2-h2-c2. das historische bedienungspersonal scheint noch in der übungsphase zur aktivierung des grossgeräts, ist damit allerdings schon in der lage, beim anwesenden jüngeren bevölkerungsanteil mächtig eindruck zu erwecken
 

– 2. old schutzman meets future-metal-man –
 

um die älteren besucherInnen zu beeindrucken, nahm der bereits vorgeführte hilfspolizist rückgriff auf jene gewohnheit, die ihm vermutlich bereits in der vergangenheit erfolgreich zu respekt und ansehen und hackenzusammenschlagen verhalfen: den deutschen gruss, weit(er)hin bekannt als ‚die deutsche morgenlatte‘

wie sehr diese willkommensgeste begeisternd wirkte, ist dem gesicht des am rechten bildrand stehenden besuchers älteren semesters zu entnehmen. die jüngste auf dem bild schaut verständlicherweise verständnislos

um das schwer abschätzbare mediale und politische ausmass einer derartigen offenbarung zu mindern, ist der zuständigen polizeiführung angeraten, sich davon zu distanzieren, indem sie den dargestellten als ‚ein-euro-jobber‘ entlarvt – wer von uns sozial beseelten menschen könnte diesen bedauernswerten kreaturen irgendwas übelnehmen, zumal das gezeigte verhalten in heidelberg historisch gesehen geradezu auf der hand liegen muss?
 

– 3. stasiman shows the ‚deutschen gruss‘ –
 

aber. aaaaber, unwerte herren und damen von der polizeiführung, werte herren und damen mitlesende und ein fröhliches ‚hallo!‘ der interessierten normalbevölkerung – sie soll nicht ausgeschlossen sein, da mehr als wert und wichtig – aber: das letzte bild macht ein polizeiliches dementi schwer, denn es zeigt den alltag. hinaufgereckt in den kruppstahlblauen himmel die hand der sängerin des polizeikorporalen sondereinsatzkommandos, jene sieg verheissende geste wiedererwachenden stolzes, grossen mutes, neuer alter zeiten, während sie vernachlässigbare geräusche ins mikrophon mümmelt …

foto 4, also: erwischt. in einen satz gefügt, was wir schon wussten und was wir bislang nur behaupten konnten:
staat und kultur passen einfach nicht
zusammen, stasi und gestapo aber umso besser

 

– 4. sondereinsatzkommando ‚kulturterror‘ –
 

noch fragen, herr staatsanwalt?
 

fotos: ‚tag der offenen tür‘ im polizeihauptquartier
heidelberg, 03. juli 2005


[ l’aigle noir ]

August 12th, 2005


 

unter stapeln alter notizen fand ich deine
übertragung dieses chansons von barbara


[ eisern ]

August 11th, 2005

‚dein grab pfleg ich mal gern, wenn du tot bist, hab
ich ihm zu lebzeiten gesagt. jetzt ist es soweit und
ich komm jeden tag hierher‘

sagt sie

‚er war ein tyrann. gewalttätig war er. am ende hat
er sich totgesoffen. eine frau kann ihren mann ja
nicht umbringen, die kommt gleich für fünfzehn jahre
ins gefängnis. bei einem mann gibts entschuldigung-
en dafür, war es ein versehen oder eine auseinander-
setzung mit todesfolge. aber ich hab doch ein kind
zu versorgen gehabt‘

sie verzupft gräser zwischen den stauden, schaut
entschuldigend, doch endlich sicher ihrer selbst zu
der schlanken stele auf, gegen die sonne, über-
zogen mit einer patina roten rostes

‚hier werd ich nicht bleiben. wenn mein kind gross
ist, gehe ich nach afrika‘, sagt sie und verabschiedet
sich, mir glück wünschend, von herzen


[ im focus: javier segura varela ]

August 10th, 2005

– javier segura varela (1) –
 

wenn eine stadt wie friedrichshafen, stolz auf un-
förmige luftschiffe – ‚zeppelin‘ genannt – kriegs-
wichtige industrien und ein touristenattraktives
hinterland, vergesslich, was ihre nazivergangenheit
betrifft, eine veranstaltung unter dem titel ‚kultur-
ufer‘ präsentiert, lohnt der besuch der dargebotene
‚kultur‘ gewiss nicht, ausser, die erwartungen be-
finden sich bereits auf niedrigstem level. und wer
diese stadt und ihre geschichte bereits kennt …

dagegen wird das wandeln entlang des ufers, das
der reste ansehnlicher architektur weitgehend be-
reinigt ist, mit wundervollen nächtlichen ausblicken
auf das gegenüberliegende schweizer ufer belohnt
das in der nacht zum zweiten august von zahlrei-
chen feuerwerken farbig illuminiert wird

lohnend könnte ein besuch friedrichshafens zur
zeit des ‚kulturufers‘ auch dann werden, sofern
es gelingt, einige der wenigen tatsächlichen kul-
turträgerInnen und förderInnen kultivierten ge-
sellschaftslebens zu treffen, die durch das fal-
sche versprechen alljährlich herbei gelockt wer-
den. diese wenigen lassen den kontakt zur nor-
malbevölkerung ertragen, der offenheit, freund-
lichkeit, respektvollen umgang, toleranz gegen-
über unbekanntem, einfühlungsvermögen, musi-
sches empfinden, progressive aufgeschlossen-
heit, guten geschmack, eine kultur des geistes
und der herzen und des vielen mehr, das eine
hochzivilisierte gesellschaft im positiven schmückt
gänzlich unbekannt zu sein scheint
 

– javier segura varela (2) –
 

heute riefen mir jugendliche hakenkreuzfressen
„linke zecke“, „heil sieg“ und „adolf hätte sowas
wie dich vergast“ hinterher. ihr irrt, wenn ihr
vermutet, dass die zahlreich anwesende nor-
malbevölkerung stellung bezogen hätte
 

fotos: javier segura varela
friedrichshafen, 08. august 2005


[ in deinen armen, erinnerung ]

August 8th, 2005

das gegenüber liegende ufer trägt perlenketten
die funkeln im licht der nacht. ein rotes auge
leuchtet von irgendwo bis zu mir

über diese fläche läßt sich wandeln. hier ist kein
versinken; hier ist ein träumen über die jahre
hier mag ich hinüber schreiten in die frühen
morgende, in die frühen abende, als das wissen
noch nicht weiter reichte, denn der eigne blick

in deinen armen mag ich sinken, erinnerung

weich spielt das wasser über den steinen
weich, lockend und
klar

hier zeigt der see seine steinerne seele
seinen speichel, seine tränen, sein hellklares blut
das rote auge leuchtet bis zu mir …
sein glanz liegt auf dem glatten see
ein spaßhaftes züngeln und ertasten
die perlenketten funkeln, ab und an zeigt sich der
weg eines unsichtbaren, der über die fernen hügel
zieht und mit seiner lichtbahn serpentinen zeichnet

nie ahnt er, daß er mir begegnet
und kennen werden wir uns
nie

in deine arme mag ich gleiten, erinnerung
niedersinken, jetzt
jetzt

dieses land ist wunderschön
seine bilder sind nicht zu
ertragen

in deinen armen will ich sterben, erinnerung
will ich endlich
sterben


[ ’santé‘, morgenbüttel! ]

August 7th, 2005


 

öffne nicht die augen, wenn morgens diese leute
an deine scheibe klopfen; sie wollen nie besseres
als deine ruhe stören. ich sage dir: es ist ein fehler

aber ich bin das gewohnt, als dreiundvierzig jahre
lang unter adlers fittichen trainierter. sie kommen
immer wieder und wollen immer irgendetwas ihnen
wichtiges. heute: schmiergeld

nehmt es hin, irgendwie habt ihr es auch verdient
als vielbespottete boten der macht, als beisser, als
zwinger, als schläger, träger uniformierter selbst-
herrlichkeit, nicht wahr? „büttel“ (zitat) eben oder
auch „nichts denkende befehlsempfänger
(zitat)

nach telefonischer anweisung handelnd, da sonst
unbewegt und blöd, krakelten sie eine quittung
auf der motorhaube meines reisemobils. das war
immerhin besser, als den anblick eines am rande
seines vermögens bemühten erleben zu müssen
in einem ihrer nach angst und pisse stinkenden
quartiere, der mit steifem finger eine mittelalter-
liche tastatur zu bedienen sucht – ganz wie einer
dieser peinlichen „büttel“ (zitat) eben, wie be-
kannt, wie gewohnt, wie immer

mein unbotmässiger verbaler verstoss gegen das
staatswillige duckmäusertum ist somit formal ab-
gestraft, der staatsanwalt kann sich beruhigt im
schlafe wenden, träumend, als einer der letzten
helden die gefährliche revolution im allerletzten
augenblick entdeckt und zerschlagen zu haben
und seine siegreichen gladiatoren werden sich
schwarz gebrannten schnaps in ihren dienstkaffee
schütten, auf ihren grossen mut anstossen, stolz
sein darauf, einen derart grossen fisch geangelt
zu haben, am morgen, am rande des flughafens
einer süddeutschen provinzstadt

ja

mein ’santé!‘ darauf, dass diese gesellschaft einst
den mut und die kraft finden möge, auf derartige
funktionsträgerInnen zu verzichten
 

scan: hochoffizielle schmier-geld-quittung morgen-
aktiver geldbüttel, in keilschrift niedergelegt auf
polizeilichen fresszettel, am 07. august 2005
in friedrichshafen am bodensee


[ nächtliche feuer ]

August 6th, 2005

wolkenverschleiert irrlichtern
nächtliche feuer entlang
des ufers gegenüber

diesseits ist zerbrochen oder
biegt sich noch unter der last der
jahre: auch wir

sprechen nicht mehr miteinander
gefallener bruder, jenseits
deiner ufer

zwischen uns wölben sich wogen
auf, narben zwischen den steinen
mühsam gesetzter pfade

keine zeit für
monologe
: ciao

endlich aber tanz der uferfeuer
dort drüben, in nachbarschaft
zu meinem

erinnern


[ i put my jeans on ]

Juli 29th, 2005

ich fand früher total beknackt, wenn sich irgend-
wer in patschnasse hosen gezwängt hat, damit
sie, also trocknend, die rechte form annähmen:
hauteng. doch von heute an ist alles anders

weil: meine lieblingsjeans sind geschrumpft. ich
schwöre: die sind am hintern eingegangen. ein-
fach so. diese … verräter. körperformverweigerer

also hab ich – ja, tatsächlich. voll beknackt. und
stakste mit abgeklemmten … dingsen … durch
die stadt, bis an den schmerzenden rand der
atemnot. wenn ich gleich durch den gewitterre-
gen zurücklaufe wird vielleicht mein hintern ein-
gehen, auf dass derartige probleme mich lang-
fristig nicht mehr belästigen mögen. vielleicht