[ dreiundachtzigster tag (II) ]

März 2nd, 2008

„es ist tatsächlich so: musik verführt; aber vielleicht
verführt sie eben die falschen. ich verliebte und ent-
liebte mich in der folgezeit reichlich, wahrscheinlich
stets auf der suche nach ihr, einem stück ähnlich-
keit hinterhersehnend, immer wieder enttäuscht und
ernüchtert. jahrelanges träumen von wiederfinden
und abschied macht müde; traurig. sie fehlt mir ewig
in allem. und so billig das klingen mag: sie ist meine
sonne, mein atmen und eben auch mein schweigen“


[ dreiundachtzigster tag ]

März 1st, 2008

mein lebensbericht; angst und hoffnung. ist mein
leben zuende, wenn ich von ihm berichtet habe?

und ich fürchte, von dir erzählen zu müssen, vom
gefühl allein gelassen zu sein, von meiner suche
nach dir in all den andern

sag doch, wo bist du und wo warst du gewesen?


[ einundsiebzigster tag ]

Februar 20th, 2008

das wasser streichelt mich. jeden tag gut eine hal-
be stunde lang, geliebter luxus, den ich mir nie
gönnte; anstelle von tränen. mein wasserwinter


[ siebzigster tag ]

Februar 19th, 2008

nach draussen hin mache ich das gewohnte und
notwendige: sprechtheater. hier drinnen verzich-
te ich auch auf die worte. es fühlt sich komplett
falsch an, dies ende einer sackgasse in einer un-
bekannten, unfreundlichen stadt. weiss nicht, wie
es weitergehen kann oder wohin


[ fünfundsechzigster tag ]

Februar 18th, 2008

würden sie sich nicht so stark kontrollieren, sagt
sie, wären sie psychotisch

erst bin ich verblüfft, dann lache ich, unhörbar, in
meinem kopf. war das ein kompliment oder teil ei-
ner diagnose?


[ neunundfünfzigster tag (II) ]

Februar 8th, 2008

es sind die rollen in dieser gesellschaft, die uns
krank machen. opfer, tat, macht, ohnmacht – in
den fragen unterscheiden wir uns nicht. und die
persönliche lösung alleine bewirkt keine verände-
rung


[ neunundfünfzigster tag ]

Februar 7th, 2008

wild gestikulierend falle ich ins wort. und wache
auf. stosse die schwere decke von mir fort, krat-
ze mich. da schau her, denke ich, dich juckt der
hals? dich juckt der hinterkopf? du willst reden?

die bilder des traums sinken ins vergessen. bleib
dran, sage ich, das ist wichtig. dem weg des ge-
fühls folgend, ziehe ich sie in den vordergrund zu-
rück

du siehst müde und irgendwie erleichtert aus, hat-
te sie gesagt, gestern abend. jetzt kann ich nach-
fühlen, was sie meinte


[ fünfzigster tag ]

Januar 31st, 2008

deine augen als ein aquarell, im halbprofil, nah
und klar für augenblicke, bevor es sich auflöst
ins figurenlose

hinter den lidern flimmert meine nacht. vom fen-
ster treibt das geräusch des steten regens her

ich ringe meine abscheu gegen die mühevollen
atemgeräusche des zimmernachbarn nieder und
starre erneut einem müden morgen entgegen


[ fünfundvierzigster tag ]

Januar 25th, 2008

einen hinterher getragenen konflikt nannte ich es
vor wochen. hätte vielleicht auch nachgetragene
liebe dazu sagen können, aber das schien mir zu
persönlich. zu treffend, auch. inzwischen ist ein
krebsgeschwür hingeschleppter schuld herange-
wachsen, schmerzensschwer, unübersehbar, un-
heilbar und so machtvoll anklagend, dass alle zum
schweigen gebracht sind. es macht mich wütend


[ dreiundvierzigster tag (II) ]

Januar 24th, 2008

es ist alles nicht schön, sage ich, und ich kann
jetzt nicht weiterreden, sage ich, der hals brennt
mir zu dolle. und: danke, dass du mich aushälst

sie lacht verhalten. sei nicht immer so streng zu
mir

ich bin nicht streng zu dir, ich bin froh, dass du in
meinem leben bist. aber das sage ich erst, nach-
dem ich aufgelegt habe


[ dreiundvierzigster tag ]

Januar 23rd, 2008

traum: eine person, an die ich mich nicht mehr
erinnere, kauft ein grosses gehöft, richtet in der
scheune ein museum ein und lässt – deshalb –
das haupthaus verfallen


[ vierzigster tag ]

Januar 19th, 2008

wahrlich kein schöner anblick, am morgen, rotäugi-
ger; doch irgendwann werde ich dich mögen, mit
all deinen schatten, scharten und zerknitterungen


[ vierunddreissigster tag ]

Januar 16th, 2008

dein pinsel zieht den regenbogen übers firmament
du malst das meer und seinen atem, wenn der mistral droht
du malst die ankunft und den abschied und dein alter ins gesicht
dein himmel brennt im feuer, nicht im abendrot

[ dreiunddreissigster tag (III) ]

Januar 15th, 2008

sing mir von der freiheit, vogel, sage ich. ihre ant-
wort ist ein lachen; es klingt … ich fasse das tele-
fon nicht mehr an, tagelang, aus angst, dieses ge-
fühl könne zu mir zurückkommen


[ dreiunddreissigster tag (II) ]

Januar 13th, 2008

die hungerkünstlerin besucht die station …
und bleibt. ihre kunst hat sie übermannt

es ist gut, dass sie hergekommen ist
es ist gut, dass sie bleibt
es ist nicht gut, dass sie hier ist


[ dreiunddreissigster tag ]

Januar 12th, 2008

(du. sag doch. du. sprich nicht mit mir.)

ist das die stille, die sie brauchen, fragt sie. ich
denke nach, nicke. dann lüge ich ein hörbares ja

(der rauch aus den schornsteinen röche nach
braunkohle, könnte ich ihn riechen, hier drin. ich
schliesse die augen und ihr seid fort.
)

(wann haben wir uns ohne schmerz geliebt, oh-
ne schuld? ohne dies endlose, dies mordende
schweigen?
)

(ich kann nicht mehr.)


[ einunddreissigster tag (II) ]

Januar 11th, 2008

ein schatten; stehst du in meinen traumgehegen
sprichst in den blättern, in den zweigen, schweigst
vor der morgensonne über die äcker hin einen kühlen
wind, du weinst mir einen abendnebel zwischen die
steine, wo die namen, vergessen, herausgefallen
sind; so legst du dich hin, vor meine schritte. bleibe


[ einunddreissigster tag ]

Januar 10th, 2008

ich wickle einen schaumstoffwürfel in meine kapu-
zenjacke, trage das bündel vor mir her durch den
raum. entscheidungen, sagt der kopf, und: du
bist meine schwere wahl

dann fliehe ich durch den nahen forst; ein fleck-
chen morgensonne hält mich auf, verspricht den
frühling. ich kann nicht, sage ich


[ sechsundzwanzigster tag (II) ]

Januar 6th, 2008

sie kreischt: wegen euch hätte ich fast selbstmord
gemacht. sie reckt mir ihren dicken unterarm entge-
gen, pflaster verdecken lang und schmal die schnei-
dende anklage. das will ich gar nicht sehen, sage
ich und stehe auf; und im hinausgehen: ich mache
bei deinem spiel nicht mit

bohrende kopfschmerzen in der nacht. am morgen
schrillen hirnschalmeien zum bombengewitter, dass
ich den unterhaltungen am tisch nur mühsam fol-
gen kann

kleine bühne, grosses theater. falsche wunden mit
viel zu echtem blut. ein thriller, episodendrama, sei-
fenstück: meine tägliche schwarzwaldklinik. es be-
rührt mich. es geht mich an


[ sechsundzwanzigster tag ]

Januar 5th, 2008

das ist mein platz, sagt sie, hebt im gleichen augen-
blick auf der gegenüberliegenden seite des kreises
einen stuhl auf und trägt ihn mir entgegen. das war
ein test, sage ich, nehme unverzüglich den stuhl, auf
dem ich gesessen habe, auf, und trage ihn an die
stelle, die sie soeben verlassen hat. wir schauen uns
an. ein test, fragt sie, ihren kopf schief haltend, hal-
bes lächeln im gesicht. nein, ein witz, sage ich. dabei
lache ich, wie zum beweis