[ ein tag am meer II ]

Mai 7th, 2008

meine abendschöne. meine morgenschöne. meine
landschöne. mein knistern von frühlingslaub, von
knospenschuppen, wenn sie aufspringen, um trie-
be freizugeben, blatt oder blüte. naturgemäss kni-
stern sie unhörbar für dich. und das donnern der
panzerkanonen grollt lauter, lauter auch als der
wind. sie schiessen auf das meer hinaus, sie üben
den verschwiegenen alltag eines landes im krieg

dieser krieg aber ist uns unhörbar. unhörbar ist
der schrei eines ackers, aufgerissen von granaten

unhörbar gerinnt das blut des toten taliban. jeder
getötete fremde ist ein taliban ohne namen. meine
abendschöne, sagte er, bevor er auf seinen acker
hinaus ging, auf dem steine wachsen, besser als
das korn, um zerrissen zu werden zu lautlosen fetz-
en, vielleicht farbig genug für ein foto in den nach-
richten des landes seiner erfolgreichen jäger. mein
abendschöner. mein morgenschöner. im knistern von
frühlingslaub höre ich deinen schritt, deinen atem


[ ein tag am meer ]

Mai 6th, 2008

ich brauche dich. wie ich diesen satz hasse. im auf-
wachen hasse ich diesen satz, hasse, diesen satz
geträumt zu haben, hasse dieses aufwachen da-
nach. unter der torfhaut meiner erinnerung brennt
ein feuer. dieser tag wird beginnen, vorüberziehen
und seinen abend finden. am horizont weisse wol-
ken, von keinem schäfchen getrübt. im trockenen
schilf der gräben, die dem meer fauliges wasser zu-
tragen, spielt eine melodie. hörst du? und der ge-
ruch kommt vom rauch, vom feuer unter dem moor


[ chiuso. comprende? ]

Mai 1st, 2008

geh fort. diese tür ist zu. geschlossen. wir beide sind
unsere wege gegangen und waren dem richtigen ge-
folgt. für mich ist das so geblieben: finito. comprende?

nein, trage mir nicht gefühle von schuld hinterher; es
funktioniert nicht. es berührt mich nicht mehr. dass sie
gestorben ist, geht mich nichts mehr an. dass sie er-
blindet ist, am ende ihrer tage, nachdem sie ein leben
lang die menschen um sich blenden konnte, nenne ich
angemessen. ja. ohne zorn, ohne hass, ohne häme, a-
ber eben auch ohne mitgefühl sage ich: angemessen

wir hatten unsere zeit zu wählen: diese tür ist lange
schon geschlossen. chiuso, comprende? nun geh fort


[ peryton on stage – april 2008 ]

April 24th, 2008

freitag, 25. april 2008
salzkirche
zollensteig, tangermünde

samstag, 26. april 2008
hospital st. gertraude
scharnhorststrasse 2, stendal

„chanson und lyrik“. peryton
beginn: jeweils 20:00 uhr


[ eine zwei meter lange paranoia ]

April 23rd, 2008

nachdem das herumfuchteln mit dem messer be-
endet ist, steht er vor mir, zwei meter lang, und
schreit ohne heiser zu werden. das findet meine
stille bewunderung. allerdings kenne ich den rest
schon: leute in schrägen lebensfilmen, die sich
beschweren, dass alle anderen schlechte schau-
spieler seien. längst bekannt. inzwischen langwei-
len mich derartige ausschmückungen des alltags


[ schattenmalerin ]

April 15th, 2008

so malen wir beide die schatten; was uns entgleiten
muss, was uns dazwischen liegt, was immer sich ent-
zieht. du malst mit wort und klang, ich nehme wasser
und farben. war es je anders? so malen wir schatten

und wieder habe ich uns gesucht, habe alte gräber
aufgerissen, totenreden nachgehört im hinterkopf
… es tut uns nicht gut. nicht das verstecken, nicht
das erinnern, nicht die angst, die ich riechen kann
und schmecken; meine angst endgültig zu verlieren

schattenmalerin, du. sagst: lass mich liegen. ich zie-
he eine silberne wolke vor deinen mond, liebste, und
erfinde dir eine nacht in dur und moll, hell und dunkel


[ overseas cooperation slaughter ]

April 10th, 2008

„Gross, von dir zu horen. Fur das Geschenk zu uns
danke. Und das Geschaft Angebot klingt gross (hey
I’m being poetic, in German no less! Goethe look
out!) (…) And your English is just fine. I hope I didn’t
slaughter the German language“


[ mood: forty-six ]

April 9th, 2008

der erste, der mir heute morgen zum geburtstag gra-
tulierte, war der mann vom jobcenter. per telefon. ist
das ein hinweis auf meinen fortschreitenden rückzug
in die eremitage des alters? oder auf die schrille wirk-
lichkeit eines übervollen lebens, trunken von musik?

ich lauschte den stadtrandvögeln nach, dem lärm der
autos, ungeduldig unten auf der strasse drängelnd und
den traumgedanken, die sich verloren, im morgenlicht

später ein frühstück im kreis von freunden, ein lied zur
gitarre, ein ausgiebiges bad in der wanne, ja. oui. yes

mood: forty-six. it’s all right

(and you? all-out, all-round, all-embracing? how are you?)


[ ça y est: der ganz normale wahn ]

April 8th, 2008

so sieht es also aus, wenn mein stress kleiner wird:
ich nehme schon am frühen morgen treppen in küh-
nen sprüngen, das allzeit-bereit-mobil ist aufdringlich
beredt, mein nebenherfrühstück ist – wie gewohnt –
nur kaltes wasser, das augenblicklich unaufschieb-
bar wichtige papier träumt unfindbar in irgendwel-
chen stapeln, ordern, bündeln irgendwo versteckt

man freut sich, hat auf mich gewartet; es wird um-
armt, begrüsst, geherzt, dass ich mich mehr und
mehr zuhause fühle. kein vorwurf, nein, kein rück-
sichtnehmen, keine übertriebene albernheit: so ist
es nach meinem geschmack. ich schlafe glücklich
und verborgen ein und träume unruhig, fragend. es
scheint tatsächlich alles ganz normal und irre. schön


[ neu: peryton in kiel ]

April 2nd, 2008

peryton c/o georg hemprich
wesselburener strasse 1
24106 kiel

ich bin umgezogen. nächtliche autopannen sind mir
inzwischen gewohnt, so dass ich gelassen im funze-
ligen lampenlicht – zwischen den zähnen – das not-
wendige schrauben unter der motorhaube erledige

es ist wie es. es gehört zum weg. zurückgekommen


[ an dich]

März 27th, 2008

zwischen all den zetteln und notizen, dem ange-
stauten, angesammelten, dem kram und kruscht
der jahre liegt ein brief von dir, der reisst beim
auseinanderfalten, angeschmuddelt ist er, dass
teile kaum zu lesen sind; ich sollte besser nicht

ich räume auf und um, muss fortwerfen und hier-
lassen, muss mich entscheiden zum scheiden;
die morgenvögel vor dem fenster, die blöden tau-
ben, die vergebens auf dem klo zu brüten ver-
suchten, wieder und wieder (gestern hörte ich
ein nachbar habe begonnen, die eier zu sam-
meln und zu braten); es fällt mir schwer. heute
morgen, weisst du, hab ich oben am berg wasser
von einer quelle geschöpft und an dich gedacht;
es ist noch immer selbstverständlich, dass es in
mir drinnen nach dir fragt, manchmal mit einer
melodie, manchmal mit einem gedicht in sperri-
gen phrasen … beantwortet das deine fragen?

es ist zeit wegzuziehen, die schritte nachzuvoll-
ziehen mit bedacht, die so unbedacht gewesen
sind – wann hat man schon den mut, nach zehn
jahren noch einmal anzufangen? bedenken. be-
wahren. behutsam bleiben. achtsam sein … wie
wichtig mir die worte waren. wie wenig ich ver-
stand von dir und von mir

mensch, so viel leben haben wir gelebt, so viel
leben. und heute suche ich immer noch die reste
von erinnerung – das ist kaum vorstellbar, nicht?
du bist mir zu einem gefühl geworden, dem die
bilder fehlen, voll glück, mund und augen, voll
feuer, zunge, glut und schnee und eine welt von
schmerz

so schreib ich an dich in den raum hinaus, in dem
die persönlichen worte unfindbar geworden sind;
es muss gesagt sein, laut und ohne ausflucht: du
fehlst mir heute wie du damals fehltest, als ich
nicht lieben konnte, weil ich auf suche war nach
einer vergangenheit, blind gewesen bin, taub, ver-
loren und verzweifelt im suchen nach mir selbst;
du bist nie schuld gewesen. du warst der einzige
grund für mich zu überleben. beantwortet das dei-
ne fragen?

mensch, so viel leben war dort unter unserer
thymiansonne, unter unserem lavendelmond, so
viel dankbares leben


[ das ist der regen, nicht der krieg ]

März 22nd, 2008

und dann habe ich ihm geschrieben, ob ich vielleicht
seine beerdigung verpasst hätte, sagt er und lacht
ein rollendes lachen. dann ein schluck aus der bier-
flasche, dann ein langer zug aus seiner zigarette und
noch einmal rollen töne nach, tief von unten herauf

glaubt mir, da habe ich mich zuhause gefühlt, habe
die decke fester um mich geschlungen und ihn ange-
schaut dabei, während draussen der schwarze regen
gegen die scheiben hämmerte, zorniger regen, erste
frühlingsflut, unsichtbar darüber der silberne mond


[ sechsundneunzigster tag ]

März 19th, 2008

das kind hat einen namen bekommen – ein etikett? –
und einen sanften stoss: nun geh alleine weiter

ich geh (mit dank, mit mut, mit hoffnung im gepäck)

das draussen macht ein wenig angst, die angst ein
wenig müde; aber es ist meins: ende und anfang


[ dreiundachtzigster tag (II) ]

März 2nd, 2008

„es ist tatsächlich so: musik verführt; aber vielleicht
verführt sie eben die falschen. ich verliebte und ent-
liebte mich in der folgezeit reichlich, wahrscheinlich
stets auf der suche nach ihr, einem stück ähnlich-
keit hinterhersehnend, immer wieder enttäuscht und
ernüchtert. jahrelanges träumen von wiederfinden
und abschied macht müde; traurig. sie fehlt mir ewig
in allem. und so billig das klingen mag: sie ist meine
sonne, mein atmen und eben auch mein schweigen“


[ dreiundachtzigster tag ]

März 1st, 2008

mein lebensbericht; angst und hoffnung. ist mein
leben zuende, wenn ich von ihm berichtet habe?

und ich fürchte, von dir erzählen zu müssen, vom
gefühl allein gelassen zu sein, von meiner suche
nach dir in all den andern

sag doch, wo bist du und wo warst du gewesen?


[ einundsiebzigster tag ]

Februar 20th, 2008

das wasser streichelt mich. jeden tag gut eine hal-
be stunde lang, geliebter luxus, den ich mir nie
gönnte; anstelle von tränen. mein wasserwinter


[ siebzigster tag ]

Februar 19th, 2008

nach draussen hin mache ich das gewohnte und
notwendige: sprechtheater. hier drinnen verzich-
te ich auch auf die worte. es fühlt sich komplett
falsch an, dies ende einer sackgasse in einer un-
bekannten, unfreundlichen stadt. weiss nicht, wie
es weitergehen kann oder wohin


[ fünfundsechzigster tag ]

Februar 18th, 2008

würden sie sich nicht so stark kontrollieren, sagt
sie, wären sie psychotisch

erst bin ich verblüfft, dann lache ich, unhörbar, in
meinem kopf. war das ein kompliment oder teil ei-
ner diagnose?


[ neunundfünfzigster tag (II) ]

Februar 8th, 2008

es sind die rollen in dieser gesellschaft, die uns
krank machen. opfer, tat, macht, ohnmacht – in
den fragen unterscheiden wir uns nicht. und die
persönliche lösung alleine bewirkt keine verände-
rung


[ neunundfünfzigster tag ]

Februar 7th, 2008

wild gestikulierend falle ich ins wort. und wache
auf. stosse die schwere decke von mir fort, krat-
ze mich. da schau her, denke ich, dich juckt der
hals? dich juckt der hinterkopf? du willst reden?

die bilder des traums sinken ins vergessen. bleib
dran, sage ich, das ist wichtig. dem weg des ge-
fühls folgend, ziehe ich sie in den vordergrund zu-
rück

du siehst müde und irgendwie erleichtert aus, hat-
te sie gesagt, gestern abend. jetzt kann ich nach-
fühlen, was sie meinte