Archive for November, 2019

[ … und heute eine postkarte ]

Donnerstag, November 28th, 2019



jetzt überstürzt sich alles. nach einem guten dutzend emails
und telefonaten ist das „geht-gar-nicht“ über „geht-so-nicht“
und „geht-frühestens-in-4-wochen“ zum „dann-jetzt-sofort“
verändert. die französische bürokratie ist ein seltsames viech

das heisst: ab sonntag arbeite ich am rande der cevennen

schreit sowas nicht nach einer postkarte? ja: abendstimmung
mit schiffchen. dies wird meine letzte nacht hier in la seyne

foto: abendstimmung mit schiffchen
la seyne sur mer, 28. november 2019

[ irgendwas persönliches ]

Mittwoch, November 27th, 2019



„erste hürde: die felsenpassage. aber aufgeben ist ja
nicht mein ding. (ich hab fotos gemacht, kriegst du
später.) zweite hürde: bei diesen wellen ins wasser. (ich
hab fotos gemacht, kriegst du später. ;)) das hat echt
was von ins-wasser-gehen. kaum war ich wieder
draussen und abgetrocknet, beruhigte sich das meer. ist
irgendwas persönliches zwischen uns, glaube ich.“


foto: irgendwas persönliches
le pradet, 27. november 2019

[ un véritable dimanche ]

Sonntag, November 24th, 2019



ein echter sonntag, wenn doch die sonne rauskommt, einen
augenblick lang, und einen horizont hinzaubert wie gemalt

der hinweg über eine schmale uferpassage wird von brechern
überschwemmt. den takt mitzählen und dann über die felsen
springen. zu früh, und zack! ins knietiefe wasser. gleiches
wird mir auf dem rückweg noch einmal gelingen, als ich schon
glaubte, schlauer geworden zu sein. ja, hier bin ich zuhause

als ich unvermittelt über die sandkante rutsche, zieht mich
eine zurücklaufende welle meerwärts. mit vier, fünf zügen
gewinne ich wieder boden und stürze mich zurück ins seichte

so ist die mareen gestorben, denke ich, und: dankeschön, ich
will hier nur kurz baden

danach ist jedesmal wie neu geboren. angelandet in der welt

„est-ce froid?“ fragt plötzlich jemand neben mir, der mich
wohl noch vom sommer kennt. „non, vraiment merveilleux.“


foto: un véritable dimanche
le pradet, 24. november 2019

[ weihnachtsmarkt ]

Samstag, November 23rd, 2019



die eröffnung des weihnachtsmarktes wurde wetterbedingt um
eine woche verschoben. der advent soll unverändert stattfinden

gäbe es eine gesetzliche regelung für weihnachtsstimmung, wär‘
sie hier verordnet. der fraternität wegen und wegen des guten
geschäfts. der weihnachtsmann sitzt in seiner hütte bereit, fertig
zum anfassen und zum kostenpflichtig fotographieren. halleluja!

schnell vorbeifahren reicht, denke ich, schnell genug, damit
nicht am ende noch etwas herüberspringt, so eine art ätz, der
die lebenslaune wegbrennt wie leischmaniose deine haut, passt
du nicht auf. im land der toleranten bleib ich gerne unberührt


foto: weihnachtsmarkt
la garde, 23. november 2019

[ gegenüber: le pradet ]

Mittwoch, November 20th, 2019



gegenüber von la seyne sur mer, am gegenüber liegenden ufer
der bucht, liegt der strand von le pradet, der seit den stürmen
dieses herbstes zur hälfte von den wellen weggefressen wurde

hier habe ich ein paradies gefunden. ja, zugegeben, zu einem
paradies gehört mehr als eine schöne landschaft. mehr als ein
angenehmes klima und eine mich faszinierende vegetation. da
gehörte vieles geändert, auch hier. die armut ausserhalb der
mauern und zäune der residenzen, die dreiste bürokratie, die
permanente kontrolle – überall! -, und die unachtsamkeit, alles
niederwalzend. und immer wieder diese narzistische dummheit

anfangs glaubte ich, all dem entkommen zu sein; naiv war’s. nie
entkommst du der dummheit, schon gar nicht der eignen. und
dennoch habe ich hier mein schönstes jahr verbracht. da unten
am strand liegend, meist, die nase in den büchern, zaghaft erste
freundschaften schliessend, ängstlich stotternd und ringend um

worte


foto: la plage du monaco
le pradet, 02. dezember 2019

[ le port ]

Dienstag, November 19th, 2019



die wochentage verbringe ich meistenteils in la seyne sur mer

in einer provisorischen schule für migranten versuche ich
schnellstmöglich mein altes schulfranzösisch zu aktivieren
und mehr. schliesslich will ich hier bleiben. um frankreich
zu geniessen und die stirn zu bieten, braucht es doch mehr
als seinen namen fehlerfrei zu buchstabieren. an diesem mehr
scheint dieses system nicht interessiert. das oben und unten
ist hier klar definiert. unten bleibt reserviert für die migranten

abends: am hafen. mein basislager zwischen autowracks und
automobilen notunterkünften wohnsitzloser oder fischer. die
nächte sind laut und kurz, wenn im sommer auf dem sandplatz
pétanque gespielt, getrunken, geliebt und auch gestritten wird

heute geht der blick über die bucht bis nach toulon, auf den
grössten militärhafen europas. es ist doch eine schande, wie
einfach es einem regenbogen gelingt, das allzu hässliche zu
überstrahlen. und es brauchte hier wahrlich viele regenbögen


foto: hafen, blick auf toulon
la seyne sur mer, 19. november 2019

[ wind von süd ]

Dienstag, November 19th, 2019



am samstag bin ich hier noch hineingesprungen. todesmutig
obwohl der wind eisig war. am sonntag schlug er dir alles um
die ohren, was nicht fest genug angenagelt war. und dieser
wind kam auch nicht von süden herauf, das war glatt gelogen

auf einmal ist der sommer vorbei. ich muss abschied nehmen


foto: la plage du monaco
le pradet, 17. november 2019