bin eben mal weg. nach dem sommer hören
– lesen – wir uns ganz bestimmt wieder
ich wünsche euch bis dahin eine gute zeit
bin eben mal weg. nach dem sommer hören
– lesen – wir uns ganz bestimmt wieder
ich wünsche euch bis dahin eine gute zeit
„weisst du, weiss ich?
wir werden vielleicht nie verstehn
warum der weg uns steinig ist
den alle andren gehn
so klug und leicht und gut“
(aus: „weisst du“ – peryton 2002)
– I –
meine biographie ist geprägt von frühkindlichen ge-
walterfahrungen unterschiedlichster art. sie wirken
auf mein leben bis heute ein – auf meine art zu füh-
len, zu denken, zu beobachten. sie begründen meine
heimatlosigkeit, meine persönliche und politische vor-
sicht, meine stets schwierigen persönlichen bindung-
en, meine zahlreichen körperlichen und seelischen
beeinträchtigungen. sie waren massgebend bei al-
len beruflichen entscheidungen wider den kommer-
ziellen erfolg. so bin ich ein erwachsenes opfer, über-
lebend, allzeit auf der hut
trotz dieser erfahrungen weiss ich heute: das opfer
darf anklagen aber nicht richten. das (be–) urteilen
steht nur den nicht–betroffenen zu – also jenen, die
mitfühlen, aber nicht mitleiden; das urteilen und rich-
ten liegt bei den nicht–befangenen
– II –
aus kieler linken kreisen heraus wurde die gemein-
same stellungnahme von albino und mir sowie die
spätere positionierung der „kieler initiative für tier-
befreiung“ (kit) zur forderung nach ausschluss der
hamburger „tierrechts aktion nord“ (tan) von den
letzten endes abgesagten „tierbefreiungstagen mai
2010“ zum anlass genommen, uns sämtlich als
„täterschützer“ zu diskriminieren
„Die Zeit von Ringelpietz mit Anfassen ist vorbei (…)
Fuck MC Albino & Peryton!“ riet ein u.a. im libertären
kieler projekt „li(e)ber anders“ ausliegendes flugblatt
nicht das flugblatt an sich, das ich inhaltlich eher
unbedeutend finde, sondern die tatsache, dass in
linken kreisen zu sexualisierter gewalt aufgerufen
werden darf – absurderweise in direkter verbindung
zu einer auseinandersetzung, die angeblich sexismus
und vergewaltigung zum zentralen thema machte (1)
– ohne einen einzigen widerspruch aus eben diesen
kreisen politischer moralwächterInnen. alles sexist-
Innen, oder was? alles täterschützerInnen? oder
sind sie nur unsensibel im umgang miteinander, min-
destens aber im gebrauch ihrer sprache?
der aufruf „fuck peryton“ hat mich mehr verletzt als
die nicht wenigen mir persönlich dargebrachten
versteckten oder offenen gewaltandrohungen, die
ich als reflexhafte, emotionale abwehrreaktionen
jener verstehe, die sich von unserer stellungnahme
angegriffen fühlten
– III –
nach wie vor bin ich der meinung, dass eine zwölf
jahre zurückliegende sexuelle grenzüberschreitung
in hamburg und die rolle der tan in der seit 10 jah-
ren darüber geführten debatte bis heute instrumen-
talisiert wird. diese instrumentalisierung erfolgt/er-
folgte damals wie heute weder im interesse der be-
troffenen frau, noch im interesse einer konstrukti-
ven auseinandersetzung über prävention sexueller
gewalt und den umgang mit gewalttätigen bzw.
gewalttätig gewordenen personen
– IV –
jeder einzelne gewalttätige übergriff ist ein indivi-
dueller akt. nein, es gibt – möglicherweise mit aus-
nahme von gewalt im rahmen von kriegshandlungen –
keine rechtfertigung für pauschale (vor–) urteile. vor
einer urteilsfindung sind alle umstände zu betrachten
und angemessen zu wichten; dabei sind alle seiten
anzuhören, sowohl die des „opfers“ wie jene des
„täters“. auch die parteinahme für ein opfer darf
nicht selbstverständlich – quasi automatisch – in ein
aburteilen von tätern und täterinnen führen, ohne
deren seite gehört und gewogen zu haben
dies stellt in keiner weise in frage, dass eine verge-
waltigung stattgefunden hat, wenn das opfer dies
tatsächlich als eine vergewaltigung empfunden hat
(„definitionsrecht“)
eine vergewaltigung ist nicht erst vollzogen, wenn
es zu einem sexuellen akt gekommen ist. dabei gibt
es durchaus qualitative unterschiede zwischen sexu-
ellen grenzüberschreitungen und vergewaltigungen
– die übergänge sind fliessend. für die betroffene
person, das opfer, ist eine strafrechtliche bewer-
tung allenfalls im sinne eines verständlichen bestra-
fungswunsches relevant oder auch aus dem gefühl
heraus beistand, öffentliche solidarität und die wie-
derherstellung der sozialen integrität zu erfahren;
allein die bestrafung der tat wird jedoch keine emo-
tionale heilung herbeiführen
opfer wie täter/täterin haben eine biographie vor
und nach der tat, ein leben, das mit erfahrungen
und entwicklungsmöglichkeiten weitergehen und
lebbar sein soll. opfer wie täter/täterin haben ein
recht auf angemessene anteilnahme, ein recht auf
angemessene hilfestellung. das alleinige abstrafen
von täter/täterin birgt nur kümmerliche hoffnung
auf besserung
– V –
deutschland, 2010: das land ist im krieg und seine
bevölkerung leidet seit generationen unter den
unbewältigten folgen vorausgegangener kriege
dieser umstand rechtfertigt jedoch nicht das wei-
terexistieren von kriegsrecht–ähnlichen handlung-
en im privaten und politischen, rechtfertigt nicht
standrechtliche aburteilungen im sinne linksradikal–
feministischer diskussionen über die absolute de-
finitionsmacht betroffener (frauen). gewalt repro-
duziert gewalt; die konstruktion von opferrollen
reproduziert opfer und täter
wollen wir den krieg konservieren, handeln wir da-
nach – also wie gewohnt; wollen wir frieden ent-
wickeln, müssen wir uns auf den steinigen weg
machen, ihn zu finden
peryton (kiel, im juni 2010)
anmerkung:
(1) – nach unserer einschätzung wurde die hamburger
vergewaltigungsdebatte aufgrund politischer (macht–)
interessen benutzt. vgl.: stellungnahme peryton & albino
download (pdf):
[ definitionsrecht versus definitionsmacht ]
wenn du in deinem boot gegen die stachel-
drahtbewehrten grenzen treibst, gegen sie
getrieben wirst, glaub mir, du wirst zum ken-
tern gebracht, so oder so, die stürme oder
die schläge werden es sein, oder der stachel-
draht fängt dich ein, so oder so. wahrschein-
lich muss es gerade darum und jetzt so sein
du kannst nicht verstehen, wann mir die
welt stehenbleibt, wann sie einfriert und
schweigt. dann schweigt es aus mir her-
aus. abend. der horizont ist nah und ein
nebelband steigt. das rührt mich; das be-
rührt mich nicht. es steht und schweigt
foto: neoviel, 05. juni 2010
copyrights: neoviel © 2010
… dann geht ein strich durchs bild;
du siehst einfach nichts mehr. feuer
im kopf. ein strich durch die asche
foto: kiel, 05. juni 2010
wir reden und wir hören nicht
wir reden in fremden worten
wir reden über die anderen
wir reden über gewalt wie über das wetter
wir reden über die grauzonen des lebens
und ihre undurchdringlichen schatten
wir reden nicht vom augenaufschlag und
von den atemlosen pausen ohne sprache
wir reden nicht über das private
wir reden über politik
endlich ist die katastrophe da, sage ich und falte
die zeitung zusammen, was heute kein geräusch
mehr macht wie das zeitungenauspapierzusam-
menfalten, sondern man klickt sie weg mit dem ge-
räusch einer wanze, die ein deutscher soldat vor
stalingrad auf seiner rastlosen suche durch die
nacht zerquetscht: ich töte, also leb ich noch
endlich ist die katastrophe da, die das öl an eure
ufer schlagen lässt, unaufhaltsam, mit feuer und
mit grossen staubsaugern seid ihr vergebens be-
müht, abzuwehren, was euch reich gemacht hat
und gross, was euch ernährt und andere erstickt
hat, was euch nun erstickend entgegenschlägt, ent-
gegendrückt, langsam, träge, unaufhaltsam gegen
die augenlose, betende heimat: es ist zum speien
aber nun, endlich, ist die katastrophe da. nun
hättet ihr die möglichkeit, euch nicht weiter be-
lügen zu lassen, in eine sicherheit wiegen zu las-
sen, die tragfähig ist wie ein dünner moosrasen
über dem moor, über einem sich schweigend er-
innernden moor, das seit jahrtausenden aufge-
wachsen ist, nachtragend anwächst gegen alle
versuche trockengelegt zu werden, gebrannt, ge-
stochen, ausgeplündert zu werden, das tückische
moosrasen auslegt, in denen die versinken, die
vergessen haben, wo die gangbaren wege waren
endlich ist die katastrophe da, sage ich und klicke
mit dem wanzenzerdrückgeräusch die katastro-
phenmeldung weg; eine momentaufnahme ist im
kopf geblieben. eine momentaufnahme von ölbe-
deckten wellen. eine momentaufnahme von irgend-
wo an einem fremden ufer, das mich nicht interes-
siert. irgendwo ist weit genug weg, weil es weit
weg ist, weil es nicht mein ufer ist und nicht mein
ufer sein soll, darum interessiert es mich nicht, in
der hoffnung, dass es weit weg, weit genug weg
ist und dass einzig die anderen dummen dumm
dran sind. nur eine momentaufnahme ist geblieben
momentaufnahmen sind unser leben, so wie deines
und meines, so wie wir uns immer wieder begegnet
sind und wie wir uns immer wieder neu begegnen:
klick und weg und das öl auf den wellen
aber endlich ist die katastrophe da, sage ich und
schreibe sätze über … über … ereignisse, die mor-
gen klein sind und übermorgen vergessen. ja. licht
aus, einschlafen. ja. morgen wird ein guter tag