unser weg führt uns an einer alten mauer
vorbei, hinter der ein kleiner garten ver-
borgen liegt. das tor steht offen. zwisch-
en den schlanken steinen steht eine frau
in gebückter haltung. hohe bäume über
schmalen beeten, dazwischen rasen, licht-
durchflutete schatten. links ist ein gebäu-
de scheinbar aus der umfriedungsmauer
hervorgewachsen. ein mann tritt heraus
ob wir hereinkommen können, frage ich
seid ihr jüdisch?
nein; ich bin seit sechsundzwanzig jahren
hier vorbeigelaufen, ohne jemals einen
menschen angetroffen zu haben – und ich
würde doch so gerne einmal hineingehen
nein, heute geht es nicht, aber wir verab-
reden ein telefonat. und der mann wendet
sich wieder dem inneren des gartens zu
seid ihr jüdisch? ein kräftiger, grauhaariger
mann fortgeschrittenen alters ist neben uns
stehen geblieben, weist mit der hand in den
garten: die meisten sind russen. ich bin grie-
che, wohne seit dreissig jahren hier und ha-
be diesen ort noch nie gesehen. heute, zum
ersten mal … ja, die tore sind geöffnet
nein, sagt er, er sei agnostiker. glaube ist
etwas für die dummen. mit glauben ver-
dienen manche geld. ich bin selbst genug
er tippt mit den fingern auf seine brust:
wer ein bisschen gehirn im kopf hat und
zuhören kann und und schauen und sich
etwas merken und wenn man in der welt
reist, dann braucht man keine universität
und dann braucht man keinen glauben
wie wir auf die erste, die griechische demo-
katie zu sprechen kamen, die freiheit nur
den mächtigen zubilligte, nicht ihren skla-
ven, weiss ich nicht. wir mochten uns, wir
plauderten und warm schien uns die sonne
ich: die leute hier im norden haben kein
geld, keinen geschmack und keine kultur
er: aristoteles hatte eben recht, als er sag-
te, unter zwanzig grad wächst keine kultur
so stehen wir vor dem tor zum jüdischen
friedhof in der sonne und sprechen mit ei-
nem unbekannten. dann tauschen wir un-
sere namen, verabschieden uns herzlich