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[ volker bradke. eine würdigung ]

Dienstag, Mai 5th, 2009


 

irgendwie kommen wir immer wieder auf den brad-
ke zu sprechen und dann gebe ich gerne zum be-
sten, wie er mich eines morgens in einem marbur-
ger café ansprach, als ich an irgendwelchen tex-
ten arbeitete, wie ich ihn also kennenlernte ohne
zu wissen, wer er war, wer sich mir da vorstellte

er aber wusste; erzählte mir später oft – zornig –
wer er gewesen war, oder besser: was

da hatte ich jenes photo schon gemacht, das ihn
zeigte, wie er mir erschien: undeutlich. unscharf

sich auflösend. weil er soff; weil er, wie ich bald
erfuhr, es nicht ertragen hatte, nie so viel, nie
dem gleich geworden zu sein, wozu ihn 1966 ein
gerhard richter gemacht hatte: zum kunstwerk
 

richter hatte ihn herausgehoben aus dem zettel-
kasten seiner zeit, herausgehoben ins licht öffent-
licher betrachtung – wie vordem andy warhol eine
suppendose – hatte ihn gehalten, bis diese geste
ausreichend gewürdigt worden war und ihn fallen
gelassen, sich neuen aufgaben zuwendend auf
seinem weg berühmt – unbezahlbar – zu werden
 

eine der vielen wahrheiten, die stets im nachhin-
ein dazu gefunden werden, ist, dass der richter
den bradke nicht leiden konnte, diesen am rand
der düsseldorfer kunstszene herumschlacksenden
studierten mit hornbrille, der sich anschickte, lek-
tor zu werden. für richter war er das abbild des
spiessers, ein belesener schwätzer vielleicht, ein
intellektualisierter kleinbürger mit marxistischem
bildungshintergrund. aus rache an ihm, stellver-
tretend für seine zeit, vermute ich, hat richter
sein konterfei vom photo abgemalt, ein filmchen
gedreht, zwölf wackelige minuten lang, hat ihn
ins zentrum einer ausstellung gesetzt, den brad-
ke, der den ruhm nicht würde ertragen können

der in bedeutungslosigkeit würde zurückstürzen
müssen, weil er gegen die kunst eines der gross
werdenden nichts zu setzen hatte; der aushalten
musste, wie sein abbild im kunsthandel steigen-
den wert erfuhr – heute liegt er geschätzt bei ei-
ner million englischer pfund. so viel geld für sein
gesicht auf leinwand, während er selbst in der
mitte jedes monats regelmässig die stütze ver-
soffen hatte in den phasen der depression, ver-
schenkt in den phasen der manie; der sich ver-
schuldete, der verfiel, weil einzig der alkohol bei
ihm blieb, als niemand mehr da war, seinen an-
fangs noch kraftvoll spitzzüngigen, ja, durchaus
originellen aphorismen zuzuhören

niemand brachte ihn, seine kleine kunst heraus;
niemand wollte wirklich hören, was er zu sagen
hatte; vielleicht wollte man an ihm sehen, wie er
als kunstwerk geschaffen war; vielleicht auch
hat man ihn als person einfach nur vergessen
 

auch ich habe ihn sich selbst überlassen. unseren
gemeinsamen auftritt am 03. november 2003 in ei-
ner kleinen und wohl nur darum gut gefüllten mar-
burger kneipe meisterte bradke nüchtern – zum
erstaunen aller, die ihn näher kannten. schon am
nächsten tag war alles wie zuvor. vielleicht aber
erinnere mich mich nicht richtig und er hielt zwei
tage länger durch, bis er in seine trunkene ein-
samkeit zurück sank. hielt ich ihm seine haltlosig-
keit vor, beschimpfte er mich. so stritten wir oft

immer ging es ums ganze. „gerade weil ich dein
freund bleiben will“, sagte ich, „werde ich nicht
zuschauen, wie du dich totsäufst“. und ging fort
 

so hat die kunst ihn getötet. ein gerhard richter
– oder dessen kleinlichkeit – hat ihn 1966 zum
ersten mal hingerichtet; einer wie ich tat es ihm
gleich, gut vierzig jahre danach, mit gnadenlosem
voyeurismus. vielleicht haben wir das so nicht
gewollt; aber gebraucht haben wir ihn allemal

man braucht die bradkes immer
 

foto: volker bradke
marburg, 29. september 2004