Archive for April 8th, 2009

[ wo rauch ist. eine heimatgeschichte ]

Mittwoch, April 8th, 2009

vorsatz

wenn es brennt, irgendwo, muss auch ein
feuer sein. manchmal ist es ein akt der not-
wendigkeit, die flamme zum rauch zu tragen
 

kapitel eins

die geschichte beginnt damit, dass in irgend-
einem restaurant der hauptstadt, allerdings
einem restaurant gehobenen niveaus, eine
zigarette verglomm. ein am nebentisch sitz-
ender gast begann erst nach der ursache
des rauchs zu schnüffeln, dann energisch
nach dem personal zu winken, damit dies ü-
bel umgehend abgestellt werde. ein kellner
entfernte augenblicks die quelle der störung

er war ein wenig irritiert, weil keiner seiner
gäste jener einsam glimmenden zigarette
zuzuordnen und weil ein solch ungehöriger
vorgang ihm bislang nicht untergekommen
war. schliesslich galt ein per gesetz verord-
netes rauchverbot zum schutz der volksge-
sundheit und der allgemeinen arbeitsfähig-
keit. doch war die glut bald gelöscht und
mit der zufriedenheit des gastes auch für
den kellner die ordnung wiederhergestellt

erst als dieser vorfall sich andernorts wie-
derholte, als er wie ein ahnungsvolles glim-
men um sich zu greifen, als kein ort öffent-
licher begegnung von jener unverfrorenen
grenzüberschreitung mehr verschont zu blei-
ben schien, da wuchs unsere geschichte
vom gerücht zur grellen schlagzeile heran

als selbst gut gesicherte räumlichkeiten wie
museen, katasterämter, polizeistationen und
– gleichsam der gipfel an dreistigkeit – die
kantine des bundeskanzleramtes betroffen
waren, ohne dass je eine verantwortliche
person hätte benannt werden können, be-
gann eine landesweite fahndung unter zu-
hilfenahme aller verfügbaren sicherheits-
kräfte und unter ausschöpfung sämtlicher
rechtlichen möglichkeiten. das staatliche
fernsehen brachte sondersendungen, zeit-
gleich über den rundfunk ausgestrahlt, in
denen zahllose experten gleichlautende
appelle an die rechtschaffene bevölkerung
formulierten, sie forderten zur mithilfe auf
und die härteren strafen für den fall, dass
 

kapitel zwei

der innenminister erhob sich an jenem mor-
gen missgelaunt vom frühstückstisch, liess
sich stöhnend in seinen rollstuhl fallen, der
ihm seit jahren ein ebenso bequemer wie
unangreifbarer verkündungsort hasserfüll-
ter reden war, zum wohle des volkes und
zu seiner allumfassenden sicherheit. er griff

zum telefon. wenige stunden später sass
der innenminister in gemeinsamer runde
mit dem bundespräsidenten, der kanzler-
in, dem verteidigungsminister, führenden
köpfen aus regierung und opposition, so-
wie ausgewählten vertretern von staats-
sicherheit und bundesnachrichtendienst
in einem abhörsicheren konferenzraum im
kunstlichtgebleichten keller des regierungs-
bunkers: eine sonderkommission hatte ihre
arbeit aufgenommen, den widerstand ge-
gen die grundfesten des demokratischen
miteinanders zu bannen und zu brechen
 

kapitel drei

acht tage danach schlägt eine afghanische
widerstandsrakete russischer bauart mitten
hinein in ein kleineres armeelager, am rand
eines baumwollfeldes gelegen, irgendwo
im fruchtbaren grenzland zu tadschikistan

die handvoll staubgrauer zelte verdampft
binnen augenblicken; der explosionslärm
ist leiser, als der tiefe krater, der danach
zu bestaunen ist, vermuten lässt, werden
später einheimische bauern berichten, die
in grösserer entfernung augenzeugen des
geschehens waren und überlebt hatten

die bundeskanzlerin und der kriegsminister
waren zu einem überraschenden besuch an
die front geflogen und hatten zum zeitpunkt
des raketenanflugs staubige reihen schwitz-
ender soldaten abgeschritten zum zeichen
patriotischer wertschätzung und zur ehre

der grosse blitz aber verschlingt alles, lässt
nichts übrig, nichts von wert, jedenfalls, was
zu schätzen gewesen wäre, ausser weni-
gen metern verwackelten films, aus grösse-
rer entfernung aufgenommen, versteht sich
 

nachsatz

die geheimnisvollen rauchanschläge sollen
seitdem aufgehört haben, erzählt man sich

aber ich zögere, dies zu glauben; vermut-
lich wird einfach nicht mehr davon berichtet