Archive for Februar 14th, 2009

[ das schweigen der lämmer ]

Samstag, Februar 14th, 2009

und wo ich gerade so nett mit einem kollegen
über die aktuelle wirtschaftslage plausche, ü-
ber das darniederliegen der europäischen auto-
industrie und das niederlegen der wirtschafts-
macht chinas, über das eigentliche glück für
die gepestete umwelt, also über themen, die
einem das herz aufreissen, die jedem so richtig
spass machen, der auf schwarzen humor steht

(das wird alles mächtig spannend, in den näch-
sten jahren,
habe ich gesagt, nur schade, dass
dabei so viele menschen über pecunias schmale
planke und also hopps gehen müssen: next one!
)

da, also, fällt mir unser hochgeschätzter arbeit-
geberpräsident ein, der doktor dieter hundt

höre ich den gestern im radio sagen, mindest-
löhne seien „unsozial“, sie gefährdeten arbeits-
plätze. das mit den arbeitsplätzen hat dieser
hundt schon im oktober 2004 gesagt; seitdem
meldet sich der unbelehrbare brückenkopf des
kapitals immer wieder gleich schändlich zu wort

also, dass sich einer ständig wiederholt, ist ja
nichts ungewöhnliches, in der politik. aber dass
so einer regelmässig ein podium für seine pole-
mik kriegt, in den medien, ohne die er sicher
wirkungslos bliebe, das ärgert doch. irgendwie

und dass sich keines der zahlreichen lämmchen
wehrt, die zum hungerlohn alle drecksarbeit ma-
chen, und die sich am ende auch noch dafür
bedanken sollen, das ärgert auch. irgendwie

1977 wurde hanns-martin schleyer, seines zei-
chens ebenfalls arbeitgeberpräsident, von der
‚raf‘ (rote-armee-fraktion) entführt: wollten ihn
gegen elf in knästen gefangene kampfgenossen
austauschen, damals, im heissen, im deutschen
herbst
; hat nicht geklappt, wurde er umgebracht

die aktion fand ich damals wie heute übrigens
unpassend; die zielperson aber, den altnazi-ar-
beitgeberpräsidenten, durchaus richtig gewählt

wie ich jetzt von der komatösen, von fördertröp-
fen untauglich am weiterschrauben gehaltenen
deutschen automobil-industrie zu hanns-martin
schleyer komme? weil so einer wie der dr. hundt
die hergestellten notlagen wissentlich nutzt, um
die arbeitssituation seiner in existenzangst ge-
stürzten arbeitssklaven weiter zu verschärfen

und weil dieser hundt keinerlei angst zu zeigen
scheint, dass irgendeiner widerstand, gar den
aufstand wagen könnte gegen ihn, den präsi-
denten, repräsentant der geldgeilen arbeitge-
berschaft: so einer ist immer täter, nie opfer

vermutlich hat er im ministerum für bildung und
forschung vorher um rat angefragt – dort wur-
de ihm versichert, die staatlich geförderten bil-
dungslücken hätten sich ebenso weit wie er-
folgreich ausgebreitet, dass mit einer wieder-
holungstat nicht zu rechnen sei: von geschich-
te kenne kein mensch, kein bürger und eben
der wähler bestimmt nicht mehr allzu genaues

schon gar nicht das arbeitsvolk, das kann sich
eh keine schule mehr leisten … bei den löhnen

für einen arbeitgeberpräsidenten sind dumping-
löhne also in etwa so lebenswichtig, wie für den
nicht erfolgreichen selbständigen, den insolven-
ten, den ex-banker oder den hungrigen künstler
der monatliche bezug des arbeitlosengeldes II:
ändert sich was, wird’s ganz schnell dramatisch

mensch, mensch, mensch; so viele worte hab
ich bemüht, nur weil die assoziationen wild mit
mir durchgegangen sind. wer bis hier mitgekom-
men ist: respekt. ich habe längst alle fäden ver-
loren. ich brauche jetzt eine mentale erholungs-
pause und mache das, was dem geldknappen
an erholung zusteht: einen ausgedehnten spa-
ziergang. so wie anno dunnemal mein grosser
kollege victor hugo, der 1855 auf seiner reise
im exil auf der insel guernsey landete und fünf-
zehn lange jahre … aber das ist eine andere
geschichte, die bestimmt nicht hierher gehört

ich, also, werde diesen tag mit einem spazier-
gang in den strassenschluchten meines nord-
deutschen exils beschliessen und dort – zwei-
felnd – dem schweigen der lämmer lauschen