Archive for Januar, 2009

[ vorübergehend ausser betrieb ]

Freitag, Januar 23rd, 2009


 

„peryton vorübergehend ausser betrieb“ – klingt
vielleicht lustig, fühlt sich aber schrecklich an, für
mich; die selbstironie fällt mir diesmal nicht leicht

„vorübergehend“ sage ich, weil ich damit meine
hoffnung ausdrücke, dass die lähmungserschei-
nungen in der linken hand, die sich so rasant
ausgebreitet haben, wieder verschwinden. „vor-
übergehend“ sage ich, weil ich doch hoffen muss

heute sass ich fünfeinhalb stunden in verschie-
denen wartezimmern, fluren, kelleretagen, stand
vor tresen, vor milchglasfensterscheiben und vor
autistischen grünpflanzen. dann durfte ich mich
hinlegen, dann wurde strom durch nerven gelei-
tet bis ich fast schrie, und als ich längst nicht
mehr konnte, wurden messnadeln in muskeln
gestochen, ob sie wohl kontrahierten, wie sie
sollten. sie reagierten schmerzvoll aber ange-
messen, die nerven wie die muskeln auch, ganz
ordnungsgemäss. was leider fragen offen lässt

es bleibt auch die frage offen, wann ich wieder
spielen kann. durchaus, das bereitet mir sorge
 

foto: peryton live im kelsterbacher wald
aufnahme: andreas hochhaus
kelsterbach, 03.09.2008

[ pausentag II ]

Freitag, Januar 16th, 2009

natürlich mache ich mir sorgen. würdest du nicht
auch, wenn du in der gleichen situation wärst …?

wir lachen über mein bild vom schwanenhals in
der schlinge, ums leid herum ballett gesproch-
en, heikler tanz, wir lachen über den spagat am
toten schwan; deine stimme zu hören tut so gut

natürlich sorge ich mich nicht; nicht wirklich. es
ist die angst, die vorstellung von der schwierig-
keit zu sagen: es ist. (viele jahre lernte ich dazu)

komm’n stück näher, sage ich
ich bin schon ganz nah
hmmm. alles wird gut


[ kultur und (k)ein gutes ende ]

Donnerstag, Januar 15th, 2009


„Heute morgen hörte ich Radio. Da konnte man
was gewinnen. Man musste vier Musiktitel er-
kennen. Was ja jetzt erstmal nicht so schwer
erscheint. Wenn man den ersten Titel erkannt
hat, bekam man eine Rolle 1lagiges Toiletten-
papier. Dann wurde das 1. Lied wieder gespielt
und ein zweites Lied drüber gelegt.. wenn man
das erkannt hat, dann gabs eine Rolle 2lagiges
Toilettenpapier usw.“
kommentar von rabenflug

@ rabenflug

seit ‘pisa’ schreitet die teutsche kultur unaufhalt-
sam fort. nein, mir scheint, sie schiesst im freien
fall voran – dein bericht illustriert uns dies farbig

doch ich bin überrascht vom ausmass, mit dem
“kultur” im leben des gemeinen menschen über-
haupt präsent ist; nachdem ich annahm, sie wä-
re bonsai-mässig zum dekorativen lebensstil ver-
wachsen und nur noch beschränkten bevölke-
rungskreisen – intellektuellen eliten – zugänglich

ja, du zeigst mir, dass mein bild der wirklichkeit
ein dramatisch falsches war: ich, du, wir alle sind
ganz nah dran. (fast wie bei “big brother”, nicht?)

ich meine, näher geht ja fast nicht mehr, so nah
am … rücken. so nah am … unteren ende. so nah
am … naja … rein leitkulturell gesehen: am anfang

letzthin nahm ich in der wohngemeinschaft von
freunden den weg zum klo und fand dort ein
rollenpapier mit dem namen “happy end”. meine
freude über dieses bonmot hält noch immer an


[ dort: schnee. hier: kein … ]

Montag, Januar 12th, 2009

hier hat die sonne den weissen puder, diesen eher
lächerlichen versuch, längst wieder weggeleckt oder
es war der eisige wind; dort liegt der schnee noch
hoch, schwarz angeranzt vom strassendreck, gelb
von hundepisse, höre ich am telefon. drehe mich
noch einmal in den kissen. höre schritte auf einem
fussabtrittsgitter, höre stimmen am brötchentresen

drehe mich noch einmal in den kissen und geniesse
es, versteckt in einer tasche durch die welt getra-
gen zu werden, eine weit entfernte welt, ganz nah

sex? ich soll über sex reden?? nein nein nein. mein
letzter versuch führte zu grosser aufregung, hefti-
gem atemholen, hektischem gestikulieren – einer
ganz wunderbaren erregung: aber du kannst doch
nicht immer einfach so über sex reden. es gibt doch
grenzen, oder? das interessiert wirklich niemanden!

also schweige ich. drehe mich wieder in den kissen
und versuche so zu tun, als ob es für mich das nor-
malste von der welt wäre, untätig zu sein. der arzt
nennt es „borreliose“. und es fühlt sich scheisse an


[ 03.01.2009. notprogramm ]

Samstag, Januar 3rd, 2009

wie ich eben erfahren habe, konnte die werbung
für unser heutiges konzert nicht mehr komplett zu-
rückgenommen werden. deshalb plant julia borkert
den rapper albino einige stücke lang auf ihrer bass-
flöte zu begleiten. schliesslich sollen jene, die ver-
gebens angereist sind, nicht ausschliesslich glüh-
wein geniessen müssen. (auch den natürlich gratis)

weil ich noch nie zu einem meiner eigenen konzer-
te gegangen bin, die abgesagt sind, werde ich heu-
te eine persönliche weltpremiere erleben, denn so-
was lass ich mir selbstverständlich nicht entgehen

wo wir gerade bei den premieren sind: gleichfalls
selbstverständlich ist, dass ich ein textchen ein-
stecken werde; wer reisen kann, kann auch lesen:
zur not ein progrämmchen, ein kurzes, ein kleines

dem anlass entsprechend etwas auf der bühne
bisher noch nicht gebrachtes. schliesslich kann
ich meine kollegInnen da nicht einfach so sitzen
lassen, mit dem nach kultur hungernden publikum

… und mit dem ganzen glühwein

( link: zum waldhaus (kiel) via google-maps )


[ 2009. ein heisser anfang ]

Freitag, Januar 2nd, 2009

das alte jahr ist ausgebrannt mit einem grossen
feuer, was jetzt noch auf der alten haut liegt, ist
der schweiss, ausgetriebnes körpermagma, das
die aschen ausschwemmt, lautlos und dürstend

in den ästen überm haus gegenüber hängt die
sonne mittagstief und … sie wärmt. ja, tatsäch-
lich, das olle ding hat seinen auftrag nicht verlo-
ren, über die letzten, eisigen, mondlosen tage

ich trete auf den balkon hinaus, strecke ihr mei-
ne blosse haut entgegen (wie lange wird es dau-
ern, bis der ewige blockwart, dein alltagsnazi-
nachbar, die bullen alarmiert?), ich strecke ihr
also mein kahles, mein schweissnass glänzen-
des leder entgegen und träume mich in der zeit
zurück. mensch du, das fühlt sich fast an wie …

gemäss einer als unumstösslich geltenden ver-
einbarung schreiben wir das jahr zweitausend-
undneun. ich habe gerade die hochphase einer
atemberaubenden grippe hinter mir und bin ein
wenig – äh – neben mir. absent. verwirrt. ver-
irrt, liesse sich tatsächlich sagen. bringen wir
dieses kapitel des täglichen dramas also bald-
möglichst zu einem würdigen schluss und ende:

det verschissene, kleene neue jahr; da isset!