– peryton beim übertragen des ‚valparaiso‚-manuskriptes –
foto: berlin, 30. märz 2005
copyrights: peryton & thomas vallentin©
– peryton beim übertragen des ‚valparaiso‚-manuskriptes –
foto: berlin, 30. märz 2005
copyrights: peryton & thomas vallentin©
wo bist du, was machst du, was lähmt, was liegt, was
gilt, was hält, was quält sich und was treibt dich um?
die fragen wiegen schwerer, da du schweigst, seit ta-
gen schweigst und zeigst nicht, schweigst dich stumm
lass mich dir vom traum dieser nacht berichten, schweig-
same, als das kanonenboot zeigte auf unseren garten an
den hängen, hoch über dem meer, hoch über dem hafen
dieser stadt, wo die sonne ohne unterlass scheint für alle
und für die armen mehr, sie scheint also für uns, sie scheint
auf valparaiso, wo die menschen über treppen zueinander
steigen, die gepflastert sind mit den rücken farbiger mu-
scheln, lebendig singend unter den sohlen, wie orgeln aus
viktorianischer zeit, die in der hitze des sonntags durch die
schmalschattigen gassen obszöne choräle röhren, wie an-
getrunken – me caga la puta! angetrunken schon im
mittagslicht! – trotz des kanonenauges haben wir gelacht
uns zugelacht, zähnezeigend, helles züngeln zwischen
flaumigen lippen, glänzend wie von imperialer zahnpasta
gemacht, die hier verwendung findet, um das silber rein
zu halten vom teer der zeit, jener, die im hafen lauert
jener, die am tage ruht, die nachts die aufzüge herauf-
knarrt, unabweisbar wie der geruch des tangs, die durch
mauerfugen kriecht, wie der beissende rauch von wein-
stockstümpfen: trunken machendes leben, im sterben
gift für alle, die durchflossen – so lachten wir auf unserem
stück garten über dem meer, hoch über dem hafen von
valparaiso
ich wusste deinen namen nicht, vergessen war er, doch
so sicher war, dass dieses lachen dir gehörte, da ich dei-
nen geruch kenne, von zitronen und pfeffer, so gut kenne
ich ihn, aufgesogen in tausend nächten der liebe, an tau-
send tagen des schmerzes, aufgesogen, fortgeküsst im
schweiss auf deiner stirn, wenn träume dich rufen liessen
nach mir, dass dein ruf mir folgte, schneller als mein blut
mein herz erreichte, immer, auch an den entferntesten
polen und mich weckte; immer war ich im allernächsten
augenblick bei dir, ich küsste deine augen bis sie ruhiger
wanderten, küsste die nelken auf deiner brust, bis dein
atem zurückfloss wie das meer bei flut, dass du zurück-
kamst zu mir, jedes mal, müde und nackt lagst du, hin-
gespült vom traum, verwirbelt, verwirrt, verlassen, liegen-
gelassen, hingegeben, wie die welle den sand verlässt
bei ebbe nicht ohne ein geschenk – so hast du dagelegen
viele male; von daher kenne ich deinen geruch
und so lachten wir unser lachen von frischen kartoffeln
und tomaten über den hafen von valparaiso hinweg, an-
gesichtig eines kanonenbootes, das eine welt bedrohen
kann, aber nicht die unsere, nicht die geckos auf den
fenstersteinen, nicht unsere liebe im traum, nicht dein
lachen und nicht meines, und als ich dich in den schatten
ziehen wollte – puta madre! – angeschwollen von lust, wie
es am sonntag üblich ist, bist du entschwunden, entglitten
in fremde schatten, einen traum vielleicht, zerflossen wie
eine fatamorgana des nichts, wie zucker im kaffee: fort
und nicht fort – hast mich sitzengelassen, elegant und
verschwitzt wie ich war, ein echter macho, ein gaucho
heiss wie ein stier oder ehrlicher gesagt: wie eine schild-
kröte im angesicht ihres endes, zwischen zähnenbespick-
ten kiefern eines hungrigen katers, entschlossen zu über-
dauern, dort, zwischen öligen fässern, dort, zwischen
kisten und ballen, dort, zwischen stein und schuppen und
salz, dort, im hafen von valparaiso
für pablo, für julia, für katja und
für co, die liebe meiner träume –
der träume und der liebe wegen
– I –
eine selbstbewusste antwort: ich
kann mich besser ertragen, in deiner nähe
– II –
gestern ohne unterlass getrunken gespielt gelacht
gesprochen geraucht gewesen gelebt
heute, dagegen, bin ich. etwas. zurück
gezogen
– III –
noch eine antwort: ich
kann dich besser ertragen, in meiner erinnerung
da sind jene, die fallen mit
dem wind im herbst, sagt sie
sie sind die blätter. und
da sind jene, die aufrecht
bleiben, immer
unbestimmbar bis ins ziel
sagt sie, das sind die sterne
unter den menschen
mein auge sucht nach worten
zwischen ihren lippen, sucht
was scheu im schatten spielt
aufglimmt und verglüht: ein
lächeln, die spur der sehnsucht
unendlicher suche nach licht
foto: tattoo. tangermünde, 26. märz 2005
am hafen spielten gestern kinder. sie kickten einen ball
gegen die wand des toten schuppens, sie starrten, als ich
barfuss näher kam, sie sprachen unverständlich, riefen sich
ich lief durch sie hindurch und lachte, als ihr taubes spiel-
zeug in der rinne eines vordachs, recht weit oben, hängen
blieb
sie sehen aus wie in schlechten filmen, also wie in echt
: dickliche hemden unter vollmondköpfen. sie starren, als
ich in ihrer nähe stehen bleibe, um mit meiner kamera den
abend einzufangen, der schöne augen macht, am rand des
hafenbeckens, gegenüber. sie starren, als ich kniee, um ein
objektiv zu wechseln, einen film – sie spielen nicht mehr
sie werfen steine ins wasser über die linie meines rückwegs
hinweg; ich gehe – dennoch – durch sie hindurch. die
steine der fünf folgen mir. als ich, stehengeblieben, mich
ihnen zu wende, schauen sie weg: die haben immer
angst, weil sie klein sind
am hafen spielen kinder mit dem ball
sie spielen manchmal auch mit steinen
am hafen spielen nazis zwischen den ruinen. ich schätzte
sie auf zwanzig jahre. unbeachtet fühlen sie sich wohl
stolz, könnt ihr sein, auf eure kinder. stolz könnt ihr
sein, dass sie gelehrig sind. morgen spielen sie mit
messern, so wie ihr, spielen mit panzern und
bomben. stolz, könnt ihr sein, wie gelehrig sie sind
wellen treiben im fluss, wie
wellen treiben, vom kali
krustig, braun von versunkenen
ufern. in ihren schatten wohnen
zerborstene häuser. hier
fühle ich mich wohl
wie hingeworfen, achtlos
nachtschatten gleich den
wellen
–
frühe inventur im ersten
licht, denk doch: kein tag
ohne dich. denkschatten
schreckenschatten
mauerschatten. hier
fühle ich mich wohl
hingeworfen, angekommen
wartend, gleich der nacht, dem
ufer, der brücke auf einen schritt
hinüber, um komplett zu werden, eins
eins im klang oder
wie mein regen, der
an deine fenster schlägt
hilflos, aber stet
–
zerborstene häuser warten
an unseren ufern, wartend
wartend. ziegel entfallen müden
augenhöhlen und zerspringen; höre
: mit einem seufzen
ja. sie weinen
foto: magdeburg, 24. märz 2005
sterben will ich, manchmal
in den nächten fliehn
so war es nie – und doch, so
war, so ist es noch: cosima
kalte sonne, scheine nicht für mich
scheine nicht und lass
sterben; bis dahin
dem morgen entgegen
weinend: lebende träume
vom abschied
am morgen, später, per telefon die nachricht, dass mein
universitätskollege dr. ernst-walter reiche gestorben ist. ich
war auf dem weg zu ihm. ein trauriger tag, atemnehmend
frankfurt, 14. märz 2005. besuch beim freund und
kollegen pablo ardouin, zurückgekehrt von seiner
winterreise, beschwert von sehnsucht, erleichtert
vom schmerz notwendiger erfahrung, wohl gebräunt
von der chilenischen sonne
– pablo ardouin –
mancher traum muss ausgeträumt sein, bis ans
ende, erwachend im schrecken, erwachend im an-
gesicht der araukarien, der weissen felsen, dort
wo der himmel ist, wie das meer: ohne wolken
dann, freund, dann zu sagen ’noch einmal‘, das
wäre mutig
vielleicht wäre das mutig
foto: frankfurt, 14. märz 2005
marburg, 13. märz 2005. ein café am ufer der lahn. war-
ten auf volker bradke, der sich verspätet
augenfällig: blaue hose, lotternd, baumwollhemd, grün
ein wollschal, schamott, fleckig, eng um den hals ge-
wunden, abgeratzte lederjacke, braun, ein unrasier-
tes lachen, laut, breit, eine schwarze wollmütze in die
stirn gezogen
ich: wie siehst du denn aus?
er: wie soll ich denn aussehen?
ich: na – so
es ist warm hier drin, doch er wird nicht ablegen. ge-
trunken hat er, in der letzten nacht; unmittelbar ge-
raten wir in streit
er: ich saufe nicht. ich trinke gern mal ein bier
an einem der nachbartische schnorrt er die zweite
zigarette
erkältet sei er, von daher komme seine erotische
stimme, sagt er und niest
vergessen scheint das vergangene jahr der exzesse
und der abstürze, der entgiftung, des entzugs, der
nachfolgenden exzesse. wir streiten. er nennt mich
einen dummkopf, springt auf: ich bin agil wie vor fünf-
unddreissig jahren
dann lacht er, wirft die arme auf, weit nach hinten
nein, ich folge ihm nicht in die kleine wohnung, um
seine neusten arbeiten zu hören, die mir längst be-
kannt sind
er: ciao bambino
fotos: besuch bei volker bradke
marburg, 13. märz 2005
das vorerst letzte stück zum download und hinein-
schnuppern in das aktuelle cd-projekt: die musika-
lische bearbeitung eines gedichtes
’nimm‘ (konzept/premix) (ogg; 1,2mb)
und ich danke euch für die vielen zuschriften: nein, ich
fühle mich dadurch nicht gestört oder belästigt, ja, eure
persönlichen kommentare interessieren mich, ja, ich
antworte in-der-regel-meistens-immer und nein, allzu
persönliches gebe ich nicht von mir preis, das ist sicher nachvollziehbar
marburg, 14. märz 2005. volker bradke getroffen
du hast gesoffen, sage ich
was heisst denn hier gesoffen, schreit er mich an, am
morgen – nein: es war mittag – in einem marburger café
sage mir nicht, was ich tun oder lassen soll, schreit er
weiter, seit gestern bin ich alt genug
also; wir haben gestritten, kaum, dass wir uns trafen
kein photo heute, bitte, sagt er zum abschied. und, fast
möchte ich es zart nennen, flehend: ich hab dich lieb, ehr-
lich, sonst würde ich deine kitschmusik nicht mögen
lang gelebt
lang gekämpft
lang gedacht
lang geschrieben
lang geblieben
lang verstiegen
lang getrieben
lang gewesen
lang geträumt
(ach nein; eher selten)
lang gesoffen
und so trennen sich die wege
vom selbst
fast wie von selbst
traurig für volker bradke
(frankfurt/main, 15. märz 2005)
‚dreizehn farben‘, sagte sie, nach
ihren liebsten wünschen gefragt
da fanden sich freunde und freund-
innen zum kreis, ratschlagend, wie
sie wohl zu beglücken sei: aquarell-
oder öl-, mauerfarben, gar puder
für den augenschatten? mit den
farben des firmamentes hätten sie
das rätsel beinahe gelöst. doch wie
extrahieren, wie ausziehen, wie
verpacken zum geschenk? weitere
insistierende fragen unmöglich, so
beschieden die freundInnen, weil
sich liebende wunsch und bedarf
erkennen, ohne das laute wort
ein einsames fest würde es ge-
worden sein; die dreizehn farben
des wir, ihr traurigen narren, ihr
schamvollen, blieben auch diesmal
ungehört. so zog sie weiter, wie
stets, und ohne den abschied
neulich
ist ein boot gestrandet
an meinem niemands ufer
der hoffnung müde, wand ich
die augen ab und lief
zurück zum wald
in dem
ein ofen steht
inmitten einer hütte
wärme gibt er mir
und spricht
dabei
neulich
zog ich alle segel auf wie
transparente gegen euren krieg
ich führte mein landschiff durch klippen
und brandung hinaus, erneut hinaus
auf die bewegte see
lasst ab; niemand
kennt die geographie meiner
meere so sicher, wie der stete wind
der sich vereinen will, seit je
mit den wellen, doch
ebenso: vergebens
habt ihr gehört, was die vögel sich zuschreien?
‚es ist geschafft‘, sagen sie
– wunderlachen –
ein ‚danke ganz artig und lieb‘ für die viele post. das
tat gut
aber war das echt schon alles, was an lösungsvor-
schlägen bei mir einging, für das preisbewusst-rätsel?
soweit ich weiss, habt ihr noch ein paar tage zeit … na
los, ihr triefnasen – hoch mit den trägen hinterteilen und
her mit euren lösungen!!!
foto: magdeburg, 01. januar 2005
heute beim aufräumen gefunden: dein brief an einen
gemeinsamen freund, den jener mir gab, anstatt ihn
fortzuwerfen
(nein, deine briefe darf niemand wegwerfen)
ich habe ihn gelesen
(aber ich verstehe ihn nicht. was wolltest du wirklich?
warum hattest du ihn geschrieben? du wusstest, dass
ich ihn – irgendwann – bekommen würde?)
es ist zu spät
beim forträumen in diese metallkiste, die die wenigen
gegenstände birgt, die mir wichtig blieben, schiebe ich
den brief zwischen fotos wie jenes von uns beiden, als
ich dich von der schule abholte. du hattest gerade dein
abitur gemacht. so hast du mich angelacht, genau so:
zufrieden. geschafft
auf der rückseite eines anderen steckt, in die rahmen-
leiste geschoben, ein kinderbild von dir. portrait in
schwarzweiss, und du schaust geradewegs in mich
hinein. wie immer. keine chance etwas zu verbergen
(heute gäbe es keine notwendigkeit mehr dafür)
zu spät
gestern nacht erst hier angekommen, hab ich das
gefühl weiter fahren zu müssen, deinen blick zu
vergessen
‚du bist ein wenig älter geworden‘
sagst du
‚ja‘
– du bist auch nicht mehr bei mir, denke ich –
sage ich
der morgen bricht erst an, wenn du gekommen bist
mit schnee, mit regen, mit kälte, mit schweigen
wenn zu verstehen ist, was ‚ich bin gegangen‘ heisst
was das geheissen hat, dann bricht er an
der morgen bricht erst an, wenn du gekommen bist
das bild malt selber sich in deinen farben nicht
das zu verstehen gibt, was ‚ich bin gegangen‘ heisst
ich bin gegangen, viele male schon
so viele male nicht
der morgen bricht erst an, wenn du gegangen bist
zurück, zurück und endlich durch die
türen, ganz allein
zieht man krawatten an, kann man ersticken dran
wer immer seine suppe isst, bleibt klein
… ai …
dein pinsel zieht den regenbogen übers firmament
du malst den abschied und du willst es und du
weisst es doch
man kennt den mistral nicht, man fragt nicht ‚comment vas-tu?‘
wirf deine tränen mit ins grab – dann geh
der morgen bricht erst an, wenn du gekommen bist
mit schnee, mit regen, mit kälte, mit schweigen
wenn du verstanden hast, was ‚ich bin gegangen‘ heisst
was das geheissen hat, dann bricht er an
der morgen
… ai …
der morgen bricht erst an, wenn du gegangen bist
zurück, zurück und endlich durch die
türen, ganz allein
…
zieht man krawatten an, kann man ersticken dran
wer immer seine suppe isst …
für dich. kopf hoch, mein freund
peter griggs gab mir gestern eine aufnahme, vor einem
monat als grundlage für proben bei ihm eingespielt
etwas für liebhaberInnen: aufgenommen in peters
arbeitszimmer, nur stimme und karl-heinz-neudel-gitarre
(modell ‚peryton I‘), mit handygeräusch am anfang, gänz-
lich ohne weitere bearbeitungen: peryton pur
ich bin in eile. aber die zeit muss reichen für das für
heute versprochene (mit einem gruss an dich, julia
und einem dankeschön für deinen lieben gästebuch-
eintrag)
‚lass vorüberziehn‘ (konzept / premix) (ogg; 3,8mb)
… und wer mich heute noch sehen will, muss mich auf
der autobahn überholen. mehr ist einfach nicht drin