sie kamen per email und schienen mir beantwortenswerter als die in weblogs so beliebten ‚most urgent questions of the day‘ (sowas wie „wann hattest du zum letzten mal sex in der badewanne?“ … gääääääääähn … )
– 1 –
welche art mensch gibt es in 1000 jahren?
immer noch den ‚homo sapiens‘. für die ausbildung neuer menschenarten sind tausend jahre ein zu kleiner zeitraum
falls aber die frage nicht in wissenschaftlich-biologischem sinn, sondern philosophisch auszulegen war: heute mache ich mir vorrangig keine gedanken über mögliche tendenzen der menschheitsentwicklung – weder positiv noch negativ. in meinen augen ist es wesentlich dringlicher, an lösungsmöglichkeiten aktueller fragestellungen zu arbeiten, kultur und sozialleben heute schon in einer art mitzugestalten, die ich auch in der prognose einer möglichen zukunft lebenswert finde
allerdings hatte ich mich vor über 10 jahren an einem ausschreiben zum thema „frieden in der welt im jahr 2010“ (oder so ähnlich) beteiligt. irgendein ‚friedenskalender‘ hatte dieses ding veranstaltet – ich glaube mich auch noch zu erinnern, dass irgendein kieler verlag daran beteiligt war. mein beitrag, meine persönliche ‚weltbildprognose‘, fiel wütend und düster aus; damit war im vorfeld gesichert, dass dieser text keine prämierung erfahren konnte. allerdings entsprach meine prognostizierte wirklichkeit in etwa der heutigen situation. bei gelegenheit werde ich den text heraussuchen – vorausgesetzt, ich finde davon noch verwertbare reste
– 2 –
wenn es sowas wie ‚gott‘ gibt, und du könntest es einige tage sein, was würdest du machen?
selbstverständlich gibt es ‚götter‘ – allerdings nur in der phantasie der menschen. sie sind die bildgewordenen gedankengespinste erträumter sicherheit, phantasmata der sehnsucht nach geborgenheit, erklärung, antwort … und nach macht
angesichts der unzähligen erfahrungen menschlicher zivilisationsgeschichte ist schwer nachvollziehbar, warum menschen (dennoch) immer wieder gottbilder zu ‚benötigen‘ scheinen, sie konservieren und neu erschaffen. nach meiner einschätzung führen derartige konstruktionen weder zu aufklärung noch zu freiheit, sondern stets (und) logischerweise zu unfreiheit, zwang (selbstzwang eingeschlossen) und unterdrückung
in einem meiner chansons („da du gehen musst“) singe ich „wenn ich die zeiten lenkte – sie lenken würd ich nicht“; nein, ich habe kein interesse an macht – vielmehr interesse an einer dekonstruktion von strukturen, die macht, unfreiheit und leid erzeugen
– 3 –
(zu 2) würdest du die welt zerstören um eine neue zu erschaffen? oder nur zerstören? oder sie ändern?
die von mir verwandte formulierung ‚dekonstruktion von macht‘ impliziert die zerstörung von machtstrukturen – also ihren abbau, gegebenenfalls auch mit militanten mitteln. ich bin ein verfechter gewaltfreier aktionsformen und befürworte durchaus (zum beispiel) das einreissen von gefängnismauern, falls eine direkte aktion dies nötig machte. und sofern keine lebewesen dadurch gefährdet oder beschädigt würden
sanfter formuliert: ich habe schon vielfach jagdhochsitze abgesägt und die folgen juristisch durchstritten, da ich diskussion über ‚zivilen ungehorsam‘, ‚anarchie im alltag‘ und das positive bild einer anti-hierarchisch libertären lebensalternative aktiv befördern will
– 4 –
kann man menschen wie tiere halten?
als ich anfing politisch wacher zu werden und zum ersten mal bilder von gefangenen in konzentrationslagern sah, menschenleiberhaufen, fotos von erschossenen soldaten der weltkriege und später (ich glaube ende der siebziger jahre) von noch existenter sklavenhaltung im süden nordamerikas erfuhr, habe ich einfach nicht verstehen können. habe ich mich geweigert zu verstehen
während meiner ersten eigenständigen auslandsreise, im alter von 16 jahren, mit einem freund durch frankreich trampend, wurden wir wiederholt als „boche“ beschimpft – ich war verletzt, weil ich nicht begriff, warum wir junge menschen … der zweite weltkrieg war doch schliesslich nicht ‚unser‘ krieg gewesen, sondern der unserer eltern und grosseltern. in paris fand ich in einem antiquariat einen fotoband über deutsche konzentrationslager – mit fotos, die schrecklicher waren als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. mir fehlte der mut, das buch zu kaufen. aber ich glaubte zum ersten mal, etwas verstanden zu haben
nein, niemand hat das recht, menschen zu ‚halten‘. kein mensch, niemand. in einer gerechten welt kann es kein oben und unten geben, keine macht und keine abhängigkeit
nach meinem empfinden hat auch kein mensch das recht, tiere zu ‚halten‘, da ich die spezisitische trennung von ‚mensch versus tier‘ ablehne und bekämpfe: kein oben, kein unten, keine abhängigkeit. aus diesem grunde begreife ich mich heute als aktiven teil der linken autonomen tierrechtsbewegung
danke, z., deine fragen haben mich sehr zum nachdenken gebracht. du wirst nun verstehen, was ich damit meinte, als ich dir schrieb, ich bräuchte für die antworten doch etwas mehr zeit …