Archive for 2004

[ noch ein rückblick ]

Freitag, Oktober 22nd, 2004

– oder – [ leergutrückgabe ]


magdeburg, sonntagnacht; nein, eher
montagmorgen. hatte total vergessen, dass
ich diese email geschrieben hatte – eben
erreichte mich eine antwort: ach, verdammt

>—– Original Message Follows —–
>
> [ … ] so scheinen meine chansons doch irgendwann
> (bei wenigen) anzukommen
>
> tut gut vorallem nach so einem abend. gestern in
> tangermünde ein grandioses konzert. heute abend
> (im raum hinter mir) ein ganz schreckliches: so viele
> bierflaschen sind noch nie umgekippt worden; das
> klang eher nach leergutrückgabestelle
>
> peryton deprimiert. mit kopfweh. stimme will nicht
> mehr. und „abschied“ hab ich auch nicht gespielt
> – wozu, wenn das publikum sooo trollig ist? aaargh
>
> hoffentlich verpissen sich die leut bald, damit ich
> mich auf dem sofa zusammenrollen kann …

wer nun erwartet hat, ich würde hier a l l e s schrei-
ben, täuscht in erster linie sich selbst. um die täu-
schung der anderen bemühe an dieser stelle i c h
mich. redlich

auf den sofas blieben halbtote kids liegen und so-
mit übrig. warum mussten die ausgerechnet zu
m e i n e m konzert kommen? geht zusaufen nicht
auch irgendwo anders, bei weniger lärm? versteh ich
nicht. jedenfalls schlief ich im büro hinterm schreib-
tisch. vielen dank


[ in flagranti ]

Donnerstag, Oktober 21st, 2004

wir sind vor uns geflohen, seit wir uns das erste
mal trafen. aus guten gründen. gestern abend
auf besuch beim freund, ist er noch nicht zu-
hause; verheerender zufall. ein arztroman würde
schliessen mit glücklichen turbulenzen: happy end

dem peryton gemäss müsste meine geschichte
etwa so weitertreiben: staatsschutztrottel
stürmen lärmend die gute stube, dem freunde
auf dem fusse folgend. sie blieben fern; vertane
chance und in meinem leben eine episode weniger

ich bin verwirrt. (quoi faire?)

foto: morgenfenster
heidelberg, 25. oktober 2004

[ mathildenhöhe ]

Donnerstag, Oktober 21st, 2004


 

eine herbstmorgensonne schien, zwang mich
erneut zum umweg: darmstadt. mathildenhö-
he. hochzeitsturm und platanenhain. mit fie-
ber und kamera und schwindel beim mauer-
balancieren. mit gegenlicht. mit starrblickenden
café-besucherInnen und in-der-herbstsonne-
sitzenden am luisenplatz: auf meine blossen
füsse und die kamera. fassungslosen blicken
zufolge passt so etwas nicht zusammen; nicht
in deren leben

foto: normale leute (I)
darmstadt, luisenplatz, 21. oktober 2004


[ feedback ]

Sonntag, Oktober 17th, 2004

To: info@peryton.de
Date: Sun, 17 Oct 2004 21:15:32
Subject: nachricht an peryton!
From: xxxx@gmx.de (grässi)
Reply-to: xxxx@gmx.de (grässi)

das ganze carpe diem team will sich an dieser Stelle für das Engagement von Georg für unseren Kulturclub und damit auch für unseren Verein „homegrown e.V.“ bedanken. Und nebenbei: loggt euch doch bei homegrownzone ein, es wird euch gefallen. nochmals danke…

was grässi und seine crew noch nicht wissen können
– wir haben in magdeburg bereits geprobt, für unsre
dezemberauftritte in magdeburg und tangermünde:


peryton goes rock

ja


[ späte antwort ]

Sonntag, Oktober 17th, 2004

sms. 03:15 uhr

„hey du – so schön, von dir zu hören! bin in magdeburg, hatte
hier 2 konzerte + bette mich gleich auf ein provisorisches
lager aus sofakissen zwischen wandregal + schreibtisch. alles
etwas wild, wie immer. aber gut. trotz beidseitigen stresses
mag ich dich mal wieder sehn; nur von dir zu singen reicht
doch nicht. gute nacht“


[ nix ‚verdauungsmusik‘. erstaunter blick zurück ]

Samstag, Oktober 16th, 2004


meine verblüffung, ein herzliches
‚dankeschön‘ und drei fazits

es gibt konzerte, die in erinnerung bleiben – das gestrige im carpe diem (tangermünde) wird sicher eines davon sein. meine anfangsmotivation hielt sich im keller: ich wusste nur, dass ich irgendwo am arsch der welt in einem unbekannten kleinen club spielen sollte (solo, weil ‚mein‘ gitarrist ausgefallen war), während ein fünf-sterne-koch einem ausgewählten publikum extravagante menues reichte. welch schreckliche vorstellung. peryton als hintergrundmukker. verdauungsmusik

aber es kam sehr anders: als ich nachmittags in magdeburg ankam warteten reiner trautmann (saxophon) und martin ‚malte‘ pelzer (bass) von der magdeburger ‚falkenband‘ bereits ungeduldig, um mit mir zu proben – sie wollten nämlich mitspielen

zwei stunden und vier gemeinsam durchprobte chansons später packten wir einen unglaublichen berg an pa-technik zusammen und fuhren quer durch die sachsen-anhaltinische pampa gen tangermünde. dann das konzert: es wurden drei grandiose stunden. bei „mein vater war ein nazi“ tumultige begeisterung … das hatte ich so nicht erwartet. mein kratzbückelndes kompliment an das beste publikum tangermündes und an dich, sven „grässi“ grasmann (carpe diem-organisator und ‚peryton-fan‘)

fazit I
wir spielen dort wieder, natürlich in der gleichen besetzung, zwischen weihnachten und silvester. der termin wird natürlich noch genauer und rechtzeitig angekündigt

in den pausen wurde speziell für mich ein veganes essen kredenzt: der vollschmaus für augen und maul. total verrückt. in der zweiten pause das hauptgericht: einfach verrückt. da die kochfraktion nicht nur kochen, sondern etwas von der musik mitbekommen sollte und wollte, spielte ich einen dritten konzertteil, speziell der küche gewidmet – als dank an das team mike dierlinger (koch), carolin schmidt & christian müller (assistenz)

fazit II
sofern wir mal eine cd-release-party veranstalten werden mike dierlinger & sein team für uns vegane leckereien herstellen. versprochen

fazit III
eine empfehlung: geht hin. dieser laden lohnt der näheren betrachtung. inmitten des deutschen sumpfs eine insel der kultur:
carpe diem (tangermünde)


[ rosenhöhe II ]

Donnerstag, Oktober 14th, 2004


 

es ist nicht zu sehen: bei tage ein
normaler ort. aus den zweigen tropfen
sonnenlicht, flügelsamen, eschenlaub, später
regen; endlich angekommen. so war es
immer. dem blättergrau, den durchgetrennten
schatten fall ich hinterher, zu spät
gekommen, wieder und wieder
 

foto: park rosenhöhe
darmstadt, 13. oktober 2004


[ sehr in eile ]

Mittwoch, Oktober 13th, 2004

letzte vorbereitungen für das kommende konzertwochenende

freitag, 28. 12. 2004
tangermünde – ‚carpe diem‘ (arneburger str. 57). ab 20 uhr

samstag, 29. 12. 2004
magdeburg – ‚caféte‘ (porsestrasse 17)

peryton spielt anlässlich der 100-jahr-feier der sozialistischen jugend deutschlands sjd „die falken“. 19:30: die „falkenband“ (magdeburg). ab 20:30: peryton. mit einem speziell für diesen anlass zusammengestellten programm. und mit nagelneuen chansons

peryton diesmal in folgender besetzung: georg hemprich (gesang, gitarre) & arthur braitsch (gitarre)

so war´s alles gedacht. aber arthur, der weltwundergitarrist, ist bös erkrankt. na suuuper. ich wünsch ihm die allerbeste besserung – klar – und spiele – ebenso klar – solo

… und weil ich eh schon in magdeburg bin, hänge ich sonntag, montag, dienstag dran und mache für die „falkenband“ einen workshop ‚texten, arrangieren, präsentieren‘. bei interesse infos unter 0391-6221540 (caféte magdeburg)


[ … ]

Samstag, Oktober 2nd, 2004


lasst mich in ruh
bewahrt eure geheimnisse
vor mir; ich bin nicht
zuhause. nirgendwo


[ rosenhöhe ]

Freitag, Oktober 1st, 2004


 

als ich das letzte mal hier sass, neben dem
lavendel, da hast du angerufen und mich ins
leben zurück

du fehlst mir jeden tag
falls dies deine frage war
am meisten aber
im moment des erwachens

heute: immerzu
 

foto: park rosenhöhe
darmstadt, 13. oktober 2004


[ nix baudelaire: buddel leer! ] °

Freitag, Oktober 1st, 2004


korsakow; oder: besuch bei volker bradke

 


 

rotz kriecht ihm aus der nase. ein husten, atemneh-
mend. er liest mir aus „der dichter knurrt manchmal“

er ist brilliant in momenten
 


“ Bis auf mich selbst
geht es mir eigentlich
ziemlich gut. „

(„Befindlichkeit“ – v.b.)
 

ich: du hast noch zwei jahre, wenn du so weitersäufst

er: so´n quatsch. mit hundertachtundzwanzig jahren, al-
so in exakt siebzig jahren, werd ich ins kloster gehen. da
bist du schon lange beerdigt
 


“ Wir erinnern uns an nichts.
Aber wir schweigen thematisch (und beharrlich). „

(„Blödmann“ – v.b.)


“ Wir erinnern uns an alles.
Aber wir schweigen thematisch (und beharrlich)! „

(„Blödmann II“ – v.b.)
 

müde greift er an seine stirn

ich: es ist schön, dich zu kennen, volker

er winkt mir zu, von seiner bank aus, über den tisch hin-
weg, weit fort
 

foto: volker bradke
marburg, 29. september 2004
 


° der titel ist dem werk volker bradkes entnommen


[ abendstadt ]

Mittwoch, September 29th, 2004


 

es hat mich hergetrieben: über die deutzer
brücke dem abend zu, der stadt, bis an die
sockel des kölner doms

menschenwellen branden über den zwielichti-
gen platz. hier und da menschenmuscheln, die
ins auge fallen. der rest geht unter in der
gischt, im reklamenlicht, im gleichmütigen
wehen von werbewimpeln und fahnen, im
grinsen und stammeln der wahlplakate aus
einem gestern. abendstadt. vergebliche blitz-
lichter sollen die türme erhellen in sekunden-
bruchteilen uninteressierter schliessmomente:
alltagstölpel auf reisen
 

foto: blick auf die deutzer brücke
köln, 28. september 2004


[ uuuuu – ich bin so eitel ]

Dienstag, September 28th, 2004

post für mich

„hey, war schön, dass du da warst. wenn du das
nächste mal schlechte laune aufgrund deines alters
hast, nenn ich dir zwei schätzungen. ich schein mich
doch am schnupfen angesteckt zu haben. bäh. muss
flüchten“

ja, heute habe ich schlechte laune. also her damit
(allerdings nicht des alters wegen. gilt das trotzdem?)

an diesem schnupfen musstest du dich gar nicht
anstecken: ich habe ihn dir einfach da gelassen. fühlt
sich, ehrlich gesagt, angenehm an, ohne


[ nachtrag. berlin ]

Dienstag, September 28th, 2004

berlin, 14. september 2004

warmer schmierregen, irgendwie eklig, irgendwie schön. abendgrau. warmer sand-auf-nassem-asphalt-geruch. der espresso schmeckt erstaunlich gut, auch wenn dies café nicht in le vigan, an der ecke gegenüber der sous-préfecture steht. die tresenfrau trägt ein piercing an der linken augenbraue, lacht ein seltsam erwachsnes lächeln

wat – noch’n zucker?? det passt doch jaanich rinne

und ein piercing trägt sie mittig unter der unterlippe. selbstsicher lächelt sie. wie ein schneesturm bricht der zucker die glatte oberfläche des kaffees und versinkt unsichtbar unter seinem wellenschaum. draussen, an der bushaltestelle, werde ich gleich abgeholt. schade, fast: hinaus in den abend


[ wahlheiten. wut im bauch ]

Montag, September 27th, 2004

köln. nach der kommunalwahl nrw 2004

“ Bei der Kommunalwahl in Köln hat die schwarz-grüne Koalition die Mehrheit verloren. Nach dem vorläufigen Endergebnis muss die CDU Verluste von 12,5 Prozent hinnehmen, bleibt mit 32,7 Prozent aber vor der SPD mit 30,9 Prozent (+0,6). Die Grünen verbessern sich um 0,8 Prozent auf 16,5 Prozent, die FDP gewinnt 3,3 Prozent und landet bei 7,4 Prozent. Mit 4,7 Prozent erreicht die rechtsextreme Pro Köln ein unerwartet hohes Ergebnis. Die PDS verbessert sich um 0,8% auf 2,9 Prozent.

Für die Sitzverteilung im Stadtrat bedeutet das: CDU 29 Sitze, SPD 28 Sitze, Grüne 15 Sitze, FDP 7 Sitze, PRO Köln 4 Sitze, PDS 3 Sitze, Andere 4 Sitze “ [quelle: Köln.de „Kommunalwahl 2004“]

so oder so ähnlich lauten die meldungen in den medien, die mich erreichten seit dem vergangenen abend. hier prozentzahlen und wortschwallende interviews (weithin nur sieger, irgendwie) auf der einen seite – zur anderen hin schweigen. schon letzte woche, in sachsen wie in brandenburg: theatralisches erstaunen, herum- und gegenrechnen, wägen, mutmassen, dann schweigen

das ist nicht wahr: ‚protestwahl‘. auch ist nicht wahr, dass braune horden auftauchen aus dem nichts. auftauchen auf der strasse, an den urnen der politischen wahl und einfallen in die parlamente. es ist nicht wahr, dass niemand etwas ahnte

es ist nicht wahr, dass dies ein bislang unbekanntes phänomen im deutschland dieser tage ist: der deutsche apfel fault am deutschen stamm und fällt – gelegentlich – herunter. weil er vergammelt, ist ihm obsolet zu rollen: es bleibt als brauner sumpf ein most, der um sich fliegen schart mit kahlem haupt und hakenkreuzenaugen – und auch ist bitter wahr, dass sogenannte demokratInnen vor den wahlen rechte positionen zu besetzen suchen, um damit logischerweise jene positionen zu befördern: wo rassistische und / oder faschistoide parolen aufgerufen werden, ist eine reaktion zu erwarten, die nicht im rahmen dieser bundesdeutschen demokratie liegen kann: ausgelagerte verantwortung

im zweiten akt folgt schweigen. folgt jene ruhe, die die larve braucht, zu wachsen

jenen, die gewohntermassen dementieren wollen (denn solch widerwärt’g gebahren findet in unsrem güldnen vaterlande hie nicht statt!), sei eine mentale leiter gereicht, als beispiel, stellvertretend für viele: in köln wurde die faschistoide hetze gegen die sogenannten „klaukinder“ zum trampolin für rechte gedankenkapriolen

DER SPIEGEL „VERBRECHEN Klaukinder für Köln“ (30.03.1998)

FDP Köln „Taschendiebe sollen ins Heim“ (15.08.2003)

polizei-pressestelle köln (25.10.2002)

WDR „Klauende Roma-Banden?“ (13.07.2001)

es ist nicht wahr, dass niemand etwas ahnen konnte: dies ist die lange und bittere geschichte einer republik, die sich vom vorwurf der befangenheit in ihrer faschistisch-nazistischen biographie zurecht bislang nicht befreien konnte

ihr väter und mütter jener zwangvollen demokratie: niemals habt ihr ernsthaft diese brut verhüten wollen – eure kahlen kinder. eure töchter, söhne, enkel und geschwister


[ ausgestiegen ]

Donnerstag, September 23rd, 2004

… dass du dich endlich getraut hast: wunderbar

ganz gleich, wo deine hufe stehen, ich werde
sie halten. keine frage. keine zweifel. keine
bedingungen

älterwerden bringt s o l c h e vorteile …

hast du es bemerkt?
wir haben uns umarmt, zum abschied. zum
ersten mal wieder, seit fast zehn jahren


[ unter platanen ]

Sonntag, September 19th, 2004


le vigan, 27.08.2004. unten, über dem fluss, spannt sich die ‚vieux pont‘ aus dem zwölften jahrhundert, schwebt ihr bogen aus stein, spiegelt sich zum kreis, darunter schwärme von forellen. sie saugen an der haut, wenn du den sonnenplatz am ende des chemin de la rivière findest und – deinen blick nach süden – den fuss ins wasser senkst. kennst du dieses gefühl?

 


 

ein strassencafé unter platanen an der strassenecke gegenüber der sous-préfecture. im spätsommerschatten wandern erinnerungen. du tauchst prustend in das bergwasser des flusses, das den atem nimmt und dies bild einbrennt in meiner vergangenheit. die zeit zieht vorbei im schatten. eine wasseramsel: heller schrei aus weisser brust, verborgen zwischen moos und gischt und heissen steinen


you want to find anything? tu cherches quelque-chose? – non, merci, j’ai tout trouvé

im schatten jener platanen, an der ecke der avenue jeanne d’arc, gegenüber der sous-préfecture: geschlossene fensterläden. träge sackt die tricolore an ihrem galgenstrick. un café noir, bien sucré, avec de l’eau clair. ja, mit klarem kaltem wasser und die sonne rückt weiter, ein stück, dem herbst entgegen, ja, verdammt: unaufhaltsam dem herbst entgegen. un café noir, eine wasseramsel unter der alten brücke, nebenan bei den forellen, nebenan bei den clochards, die so jung sind, die immer jünger werden, immer mehr: die schatten am rand der schatten

doch hier, unter den platanen, zieht meine zeit vorüber wie die fische unter dem romanischem bogen, wie meine erinnerung an deine haut: tu te rappelles, mon amie?

tu te rappelles?
 

foto: le vigan, 28. august 2004


[ in jedem stück ]

Dienstag, September 14th, 2004

autopanne. ich hänge für mehrere tage in berlin fest. mein besuch beim liedermacher thomas vallentin brachte allerdings nicht nur eine nacht, gefüllt mit wein und wundervollen gesprächen sondern auch – quasi im handumdrehn, quasi nebenbei – einen neuen chanson auf den weg

in jedem stück das leben, vom anfang bis zum schluss
in jedem kuss das müssen, vom nabel bis zum schoss
in jedem namen find ich ort und stille; hier wie dort
─ das warten, das grosse warten

komm, du, an meine seite
wir lauschen eine weile
gib mir zu ruhen zeit
und gib zu trinken mir

komm, du, an meine seite
wir fliehen, nur wir beide
gib mir zu ruhen zeit
und gib zu trinken mir

es reicht mir eine träne, vom anfang bis zum schluss
in jedem kuss das küssen, vom nabel bis zum schoss
in deinem namen find ich ort und stille; hier wie dort
─ das warten, das grosse warten

komm, du, deck mich zu
mit einer deiner hände
gib mir zu ruhen zeit
und schliess die augen mir
am ende

text: georg hemprich
musik: georg hemprich / thomas vallentin

nachtrag, 11. november 2004

noch immer schreib ich lieder und gedichte für … nein, eher will ich dies sagen: über uns. lange zeit ist vergangen. ich bin radikaler geworden, in allem – das heisst: besonnener, klarer, doch noch mit den spuren von angst. vorsichtiger – will sagen: zärtlicher. ausser namen und zahlen vergesse ich nichts. die spiesser haben ihre probleme mit mir


[ eau non potable ]

Freitag, September 3rd, 2004


 

der parkplatz dort unten, neben der brücke:
modernisiert. vergrössert, das sah ich im vor-
beifahrn. die alte mauer musste weichen, das
unappetitlich nässende pissoir auch: licht
überall. der brunnen, weiter oben im dorf, ist
versiegt, trägt jetzt einen namen: ‚eau non po-
table‘. im steinernen viereck seines beckens
hatten wir uns – ja, mitten auf dem platz – am
morgen gewaschen, lachend: so war es gut

wir fanden die romantischen winkel, wir schmol-
zen hin in der sommerhitze gleich dem weich-
geglühten asphalt, hatten die unvergesslichen
augenblicke, die nur wir beide aufspüren und
einander zeigen konnten aufgespürt und ein-
ander gezeigt, hatten in diesem unscheinbaren
café unseren rituellen morgenkaffee genossen
– schwarz und zuckersüss -, hatten am brunnen
unsere wasservorräte aufgefüllt, waren weiter-
gereist. dieser morgen im august, dein lachen
am brunnen in meiner erinnerung; aber nein –
so war es nicht: wir fuhren nicht sofort weiter

schau, auf unserem schlafplatz bauen sie ein
haus (nein: das neue wächst neben den rui-
nen). hier, in diesem café, haben wir mit dem
schweigen begonnen. oder war das vorher ge-
schehen? (ja.) hatten wir hier bereits von an-
derem gesprochen – vom wesentlichen vermut-
lich: morgen, übermorgen. ich dachte du woll-
test? aber du hast doch immer? ich bin dir nicht
wichtig, oder? – aneinander vorbeigedacht? an-
gestrengt vorbeigesehen. der brunnen war ver-
siegt, ehe wir den geschmack seines wassers
vergessen hatten

ma chère, ma douleur, mon coeur – je veux partir
 

foto: un petit village, 02. september 2004


[ celui qui cherche ]

Montag, August 30th, 2004


 

wer steine zwischen steinen sucht
im dürren lauf des flusses
wer in den gassen gassenschatten
das silbermoos in mauerfugen
die goldreseda findet auf der sonnenhalde, dort
vergessen, dort
im staub der serpentinen

wer magisch angezogen von der tür aus steinen
lässt doch verschlossen, schweigt

wer in ruinen träumt von lebendem
und lauscht vergangenem um schritt und schritt
dem lauf des mondes hinterher
dem zug der sommervögel
dem niedergang des eises nach, bevor
die steppen blühten

in jedem schritt vollzieht er alle schritte
in jedem wort das wissen seiner zeit

es dauert ewigkeiten: bricht
eine mauer nieder, reisst sie ein
lässt eisen treiben in den bächen
bis es fällt, zerstaubend
zwischen weit gereisten steinen

unter dieser haut
am grunde unseres meeres
treibt es unaufhaltsam
fort, dagegen und voran
 

foto: le rieutord
ganges, 30. august 2004