[ catcall ]


eine karg dekorierte bühne. der vortragende sitzt an
einem schlichten holztisch, ein einfacher stuhl in der
rechten ecke hinter ihm, die andeutung eines fen-
sters in der anderen bietet einen ausblick in undefi-
nierbar graue weite. ein etwas zu hoch erscheinen-
der leuchter mit sieben weit herabgebrannten ker-
zen in der mitte des tisches, einige zettel und eine
lange schreibfeder in altertümlich wirkendem tin-
tenfass darunter. spärliches licht von irgendwo ver-
sickert an mit schwarzem tuch verhängten wänden

der vortrag ist ein langer monolog, von bedeutungs-
schwangeren pausen unterbrochen. unruhe wächst
im publikum, flüstern, stühlerücken, unterdrücktes
lachen, der erste rauch einer zigarette

es ist nicht gut, aggressiver zu werden. besonnen-
heit ist wichtiger. militanz – ja. aber nicht aggressi-
vität; das macht blind und gefährlich für alle, auch
für die freunde

lachen im publikum. zwischenruf: ‚freunde? so ein-
er wie du hat keine freunde!‘ ein weiterer: ‚klar hat
der freunde. im tierschutzverein!‘ ’nee. beim militär!‘

und wie war das nun, mit dem lange versproche-
nen tee? ich nehme dein angebot also an. zwischen
weihnachten und neujahr bin ich dort. soll ich auf
deine einladung warten, oder einfach am garten-
türchen rütteln?

‚eintreten sollst du!‘ ruft einer. ‚genau!‘ ein anderer
’scheiss-tantra!‘ leiser: ‚gibt’s hier irgendwo bier?‘

und ja: ich sorge mich weiterhin. was du schreibst
macht die gründe nicht kleiner

‚ey alter, du solltest in die gewerkschaft eintreten!‘
gelächter. von anderer stelle: ‚in die spd!‘ ‚unsere
kirchen brauchen ministranten!‘ die reihen leeren
sich respektlos schnell. ‚geh doch arbeiten!‘

irritiert vom lärm an den türen hebt der vortragen-
de zum ersten mal den blick


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